Tag des offenen Denkmals in Neu-Isenburg: Hugenottenrathaus im Mittelpunkt

Beim Tag des offenen Denkmals in Neu-Isenburg dreht sich vieles um einen möglichen Wiederaufbau des Hugenottenrathauses.
Neu-Isenburg – Der Tag des offenen Denkmals hatte in Neu-Isenburg eine doppelte Bedeutung. Viele Denkmäler – wie die alte Französische Schule – hatten ihre Türen geöffnet und die acht Portalbögen des ehemaligen Hugenottenrathauses, die eigens in Originalgröße auf dem Marktplatz im Alten Ort aufgebaut wurden, waren ohnehin offen. Inmitten der Portalbögen hatte der Verein Pour l’Yseboursch einen symbolischen Brunnen installiert. Vor dieser „Theaterkulisse“, wie es Georg Oeter, der Vorsitzende des Trägereins Hugenottenrathaus, bezeichnete, fanden alle Reden, Vorträge, Interviews und Diskussionen im Rahmen des Aktionstags in der Hugenottenstadt statt.
„Dieses Rathaus war ein besserer Wachturm mit separatem Treppenaufgang, um in die Nachbargemeinden blicken zu können, die den neu angesiedelten Menschen hier nicht immer freundlich gesinnt waren“, erklärte Georg Oeter erst einmal die Funktion. Für die in Neu-Isenburg lebenden Menschen war es jedoch mehr: ihr Mittelpunkt und auch ein Stück Identifikation. „Nachdem das Französische als Amtssprache abgeschafft und stattdessen Deutsch hier eingeführt wurde, wurde das Rathaus ein Symbol für die verhassten Franzosen“, schlug Oeter eine Brücke zu den Beweggründen für den Abriss. „Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoß ein Franzos“, zitierte er ein damals gesungenes Lied.
„Heute leben wir in einer ganz anderen gesellschaftlichen Beziehung zu Frankreich, Russland und anderen Ländern – heute würde man so ein Symbol der Herkunft und Identifikation niemals mehr abreißen“, so Oeter. Der Vorsitzende des Trägervereins verwies darauf, dass auch mit Hugenottenrathaus noch genügend Platz für Altstadtfest und Weihnachtsmarkt bliebe.
Bürgermeister Herbert Hunkel dankte allen, die an dieser „originellen Idee“ mitgearbeitet haben und so den Tag des offenen Denkmals für Neu-Isenburg zu einem ganz besonderen Tag haben werden lassen. „Wir haben aber in Neu-Isenburg 17 Kulturdenkmäler, davon sind sechs in Privatbesitz, vier befinden sich in kirchlichen Einrichtungen und sieben sind im öffentlichen Eigentum“, so Hunkel. Zu diesen denkmalgeschützten Objekten gehört auch der Planungsgrundriss des Alten Ortes mit dem Marktplatz in der Mitte. „Die Pflege der Gründungsgeschichte ist uns allen ein besonderes Anliegen, doch im November 2016 hat die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, den Wiederaufbau des Hugenottenrathauses nicht weiter zu verfolgen.“
Im Rahmen des Stadtumbaus bemühe man sich aber um mehr Aufenthaltsqualität im Alten Ort, insbesondere mit einer barrierefreien Gestaltung des Marktplatzes. „Allein vier Millionen Euro sind für eine neue Bepflasterung – auch der Wege und Gassen – vorgesehen“, so Hunkel. Der Verein für Geschichte, Heimatpflege und Kultur, dessen Vorsitzender Hunkel ist, hat zudem einen Vorschlag eingebracht, an der Wand zur Marktplatzkirche die 14 Privilegien, die Graf Johann Philipp von Isenburg den Hugenotten gewährte, anzubringen.

Dr. Andreas Flick, Leiter des Hugenotten-Museums in Bad Karlshafen, ging in seinem Vortrag insbesondere auf die Hintergründe ein, die zur Flucht der Gläubigen aus Frankreich führten. „Wir leben in einer Zeit, in der geschichtliche Zeitzeugen mehr und mehr schwinden. Umso wichtiger ist es, jene zu erhalten, die noch vorhanden oder zumindest bekannt sind“, so Flick. Als Luther und auch Calvin eine Absage von jeglicher kirchlichen Hierarchie und stattdessen die Synoden und Presbyterien als Selbstbestimmungsorgan der Gläubigen forderten, war dies ein Affront gegen die Herrscher, die auch Glaubensfürsten waren. „Wer nicht den Glauben annahm, dem blieb nur die Flucht oder die innere Lüge“, so Flick. Dies setzte eine Bewegung in Gang, in deren Folge über 160 000 Hugenotten ihre Heimat verließen.
Matthias Loesch, langjähriger Pfarrer der evangelisch-reformierten Marktplatzgemeinde, verwies darauf, wie tief die Bezeichnung Hugenotten in Neu-Isenburg verwurzelt ist. „Dies reicht von der ehrenwerten Hugenottenmedaille, die für besonderes bürgerschaftliches Engagement verliehen wird, aber auch bis hin zu dubiosen Verwendungen wie etwa dem Hugenottenlauf“, so Loesch. Den Ursprung des besonderen Siedlungsplans im Alten Ort, in dem die Hauptstraßen nicht senkrecht, sondern diagonal verlaufen, sah der Pfarrer i.R als Hommage an den König von Navarra – dies entdeckte er bei einer Reise mit seiner Frau Jutta. „Das Rathaus auf dem Platz hier war für die Hugenotten ein Zeichen der Selbstverwaltung und die Französische Schule ein Symbol der eigenständigen Bildung“, betonte Loesch. „Der Platz erlaubt es, ja verlangt danach“, so Matthias Loesch deutlich – mit einem Verweis, dass er selbst in den 70er Jahren gegen den Wiederaufbau des Hugenottenrathauses plädiert habe. Er forderte eine offene, vorbehaltlose – und vor allem nicht von Emotionen geprägte – Diskussion.
Auch die fünf Bürgermeisterkandidaten wurden zu ihrer Meinung über einen möglichen Wiederaufbau befragt und äußerten sich „politisch neutral“. Alle waren sich aber einig, dass es längst an der Zeit sei, für eine Belebung und Aufwertung des Alten Ortes zu sorgen. (Leo F. Postl)