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Thomas Reiter erzählt in Neu-Isenburg von seinen Ausflügen ins All

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Seine Verbindung zu Neu-Isenburg ist nie abgerissen: Thomas Reiter bei seinem Vortrag in der Huha.
Seine Verbindung zu Neu-Isenburg ist nie abgerissen: Thomas Reiter bei seinem Vortrag in der Huha. © air

Auf den Tag genau vor 27 Jahren startete er als Astronaut der Europäischen Raumfahrtagentur ESA zum ersten Langzeitflug mit der Raumstation Mir und absolvierte dort die ersten beiden Außenbordeinsätze eines deutschen Raumfahrers. Thomas Reiter, aufgewachsen in Neu-Isenburg und Ehrenbürger der Stadt, hat sich bei seinen Missionen im All viele Kilometer von der Erde und seinem Heimatort entfernt und doch ist die Verbindung zu Neu-Isenburg nie abgerissen.

Neu-Isenburg - Am Samstag erzählte er von seinen spannenden Reisen durch das Weltall und den Visionen der Raumfahrt. „Ich möchte gern erleben, dass ein Mensch den Mars betritt“, sagt der 65-Jährige in der Hugenottenhalle, wo rund 60 Interessierte knapp zwei Stunden lang gespannt seinen außergewöhnlichen Reiseberichten durch die Schwerelosigkeit und seinen wissenschaftlichen Erläuterungen folgen. Die Raumfahrt greift nach den Sternen und will große Ziele – wie vielleicht 2035 die Landung auf dem Mars – erreichen. Doch bevor es so weit ins All geht, planen die Astronauten zunächst einmal nach 53 Jahren einen weiteren Besuch des mit Kratern versehenen Nachbarn. Thomas Reiter erzählt von der Mission Artemis I, der neuen Station, die auf dem Mond entstehen soll.

Bei seinem Vortrag auf Einladung des Vereins für Geschichte, Heimatpflege und Kultur (GHK) freut er sich am späten Samstagnachmittag noch auf den für 20.17 Uhr geplanten Start der unbemannten Sojus-Rakete. Doch auch der zweite Versuch musste abgebrochen werden. „Seien Sie nicht enttäuscht, so ist die Raumfahrt, es wird ein weiteres Zeitfenster für den Start geben“, sagt Reiter und erinnert sich daran, dass auch er einmal bei einem Start erst im dritten Anlauf ins All fliegen konnte.

Gewöhnlich hält der Ingenieur als ESA-Koordinator für internationale Agenturen und Berater des ESA-Generaldirektors in aller Welt Vorträge und referiert bei seinen Vorlesungen an der Universität der Bundeswehr in München vor angehenden Wissenschaftlern. Doch er versteht es immer wieder, in freier Rede – ohne viel wissenschaftlichen Jargon – für alle verständlich zu erklären, wie wichtig die Raumfahrt ist und dass die Experimente im Orbit der Menschheit wichtige Erkenntnisse bringen. Reiter nennt Beispiele der Proteinentwicklung in der Krebsforschung oder bildet auf der großen Leinwand Landkarten ab, die die Luftverschmutzung durch Stickoxide oder Umweltsünden, wie etwa verseuchte Flüsse, zeigen.

Manchmal wird der Ingenieur auch philosophisch. Etwa als die Erde auf einem Foto, das von der Internationalen Raumstation aus geschossen wurde, in ihrem blauen Gewand wie ein Halbmond sanft durchs All zu schweben scheint, gezeigt wird. Das Bild ist friedlich, still, harmonisch und es deutet mit der dünnen Schicht der Atmosphäre auf die Verletzlichkeit des blauen Planeten hin. Wer die privilegierte Chance hat, die Erde vom Weltall aus zu betrachten, beschäftigt sich – so auch der erfahrene Astronaut aus Neu-Isenburg – mit den großen Menschheitsfragen. Wie können wir friedlich zusammenleben, wie unseren Planeten, dessen Ressourcen endlich sind, retten?

Thomas Reiter, der 1996 unter anderem im „Sternenstädtchen“ bei Moskau ausgebildet wurde und als erster Ausländer das Kommando für die Steuerung eines Sojus-Raumschiffes übernehmen durfte, verurteilt den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die Ankündigung des Kremls, man werde die Internationale Raumstation ISS verlassen, sei für ihn nicht überraschend gekommen und doch wäre es für alle 110 Länder, die an der Raumstation beteiligt sind, furchtbar.

Reiter ist zuversichtlich, dass es vielleicht noch einen Sinneswandel Russlands gibt. Es werde irgendwann eine Zeit nach diesem Angriffskrieg geben, deshalb müsse man Kommunikationskanäle aufbauen, um mit der Raumfahrt auch künftig gemeinsame Ziele zum Wohle der Menschheit zu verfolgen.

Wo der Mensch agiert, gibt es Probleme. Im Weltall macht den Astronauten nach Darstellung von Thomas Reiter die wachsende Zahl der umherfliegenden Schrottteile Sorgen, auf der Erde sind es Hunger, Dürre, der Klimawandel und die Konflikte zwischen einigen Staaten. Im internationalen Team auf der ISS hat die Besatzung im Kleinen vorgelebt, was im Großen auf der Erde gelingen könnte. „Wir sind eine Familie, wir sitzen alle in einem Boot.“ Wohin das Raumschiff Erde steuert, hänge davon ab, wie die Menschheit mit dem Planeten umgehe. „Wir müssen die Probleme gemeinsam lösen, das geht nur, wenn wir zusammenhalten“, sagt der Mann, der als Kind im Buchenbusch gern Raketen gebastelt hat.

Vorn rechts in der Nähe der Bühne sitzt eine ältere Dame, die Thomas Reiter besonders herzlich begrüßt. „Ich danke meiner Grundschullehrerin, sie hat mich aufs Gymnasium geschickt“, sagt er. Pädagogin Barbara Thyssen hat den kleinen Thomas in den 1960er Jahren an der Grundschule im Buchenbusch unterrichtet und ist heute stolz darauf, dass aus ihm ein erfolgreicher Raumfahrer wurde – kein Überflieger, sondern ein bodenständiger Wissenschaftler, der die Botschaften und Erkenntnisse aus dem All für alle übersetzen kann.

Zum Vortrag in der Hugenottenhalle hat Barbara Thyssen eine Mappe mit Briefen, mit Dokumenten des Erfolgs von Thomas Reiter und ein Klassenfoto von damals mitgebracht. Auf die Frage, ob sie damals schon das Gefühl hatte, Thomas sei ein Wunderkind, das einmal Großes erreichen werde, antwortet die 80-Jährige: „Ein besonders guter Schüler war er nicht, ich hatte drei schlaflose Nächte und musste gut überlegen, ob ich ihn aufs Gymnasium schicke, aber ich wollte ihm den Weg nicht vermasseln.“ Offensichtlich war der Astronaut aus Neu-Isenburg ein Spätzünder.  air

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