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„Versorgung der Wahlverlierer“ in Neu-Isenburg

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Am entscheidenden Wahlabend zeigte sich der Erste Stadtrat Stefan Schmitt (CDU) nach seiner Niederlage als fairer Verlierer, als er Gene Hagelstein (SPD) zu seinem Sieg gratulierte. Mit auf dem Foto sind Bürgermeister Herbert Hunkel und Stadtverordnetenvorsteherin Christine Wagner.
Am entscheidenden Wahlabend zeigte sich der Erste Stadtrat Stefan Schmitt (CDU) nach seiner Niederlage als fairer Verlierer, als er Gene Hagelstein (SPD) zu seinem Sieg gratulierte. Mit auf dem Foto sind Bürgermeister Herbert Hunkel und Stadtverordnetenvorsteherin Christine Wagner. © postl

Der Koalition in Neu-Isenburg bläst ein Sturm der Empörung ins Gesicht. Das Vorhaben von CDU, Grünen und FWG, einen zweiten hauptamtlichen Stadtrat zu installieren, stößt auf breite Ablehnung. Die FDP spricht von einer „Versorgung der Wahlverlierer“, die Linken von einer Politik nach Gutsherrenart. Und die SPD zeigt sich „verwundert und verärgert“. Auch der Bund der Steuerzahler lehnt das Vorhaben ab (siehe Kasten).

Neu-Isenburg - Die Schaffung der Stelle ist für die Neu-Isenburger SPD nicht sachlich begründet, sondern „dient lediglich der Versorgung der Herren Schmitt (CDU) und Gröll (Grüne)“. Keine Kommune der Größe in Hessen leiste sich aktuell drei Hauptamtliche. Damit verbunden seien erhebliche Kosten. Neben Gehalts- und Pensionskosten fielen Ausgaben für Büro und Sekretariat an. Das Gesamtvolumen dürfte also bezogen auf die Amtszeit im hohen sechsstelligen Eurobereich liegen – und das vor dem Hintergrund, dass Schmitt als Kämmerer bei den Etatberatungen noch zu strikter Sparsamkeit aufgerufen habe. Die Entscheidung führe zudem im Magistrat zu einer „grotesken Überrepräsentation“ von CDU und Grünen, die durch das Kommunalwahlergebnis nicht gedeckt sei. Die Koalition hätte dann acht Stadträte, die anderen Parteien vier.

SPD-Stadträtin Yvonne Lammersdorf hält auch nichts von dem Argument der Koalition zu Einsparungen bei Fremdvergaben: „Diese finden üblicherweise bei Planungsleistungen oder Konzeptstudien statt – alles Dinge, die von einem politischen Stadtrat nicht geleistet werden können.“ Um Fremdvergaben zu vermeiden, müsste Personal mit der entsprechenden Ausbildung eingestellt werden.

Der künftige Bürgermeister Gene Hagelstein (SPD) betont, dass es bisher keine detaillierten Gespräche zur Dezernatsverteilung gegeben habe. „Natürlich macht sich jeder Gedanken dazu, aber eins muss klar sein: Die Entscheidung liegt beim Bürgermeister. Wir werden die Herausforderungen bewerten. Die Schwerpunkte müssen Chefsache werden.“ SPD-Vorsitzender Florian Obst nennt noch den Aspekt, dass die Koalition seit Jahren die von der SPD geforderten zusätzlichen Stellen im Bereich Bauplanung und Hochbau stets abgelehnt habe. Nun solle der „Wasserkopf“ wachsen und auf der operativen Ebene passiere nichts.

„So dreist muss man erst einmal sein: Zuerst kann sich die Koalition nicht auf einen gemeinsamen Bürgermeister-Kandidaten einigen, dann verlieren beide Bewerber, und nun bekommt es der Gewinner nicht nur – wie zu erwarten – mit einem seiner Gegenkandidaten zu tun, sondern es wird ihm auch noch der zweite Verlierer an die Seite gesetzt“, empört sich FDP-Fraktionschef Thilo Seipel. Er ist sicher, dass ein dritter Hauptamtlicher bei einem Sieg von Schmitt oder Gröll kein Thema gewesen wäre. Stellvertreter Michael Seibt weist darauf hin, dass bereits nach der Kommunalwahl der Magistrat auf Betreiben der Koalition vergrößert wurde: „Aber jetzt ist das Maß voll. Dies ist nicht mehr der Wählerwille. Und ganz offensichtlich spielen dabei die Vorstellungen des gewählten Bürgermeisters keine Rolle.“ Sicher sind sich die Liberalen, dass es bei einem dritten Hauptamtlichen keine ehrenamtlichen Dezernenten mehr geben kann. Die Aufgabenbereiche wie Kultur und Sport, Klimaschutz und Integration müssten von den dann drei Hauptamtlichen mit abgedeckt werden, „sonst wäre die Aufstockung noch absurder – abgesehen von den zusätzlichen Stellen, die wir auf Fachebenen wie Klimaschutz, Kultur und Digitalisierung geschaffen haben“, findet Stadtverordneter Dr. Philip Sänger. Auch sein Kollege Luka Sinderwald ist fassungslos: „Ich hätte erwartet, dass sich die Koalition mit den geänderten Verhältnissen an der Rathausspitze arrangiert – ein solch fadenscheiniges Manöver hätte ich nicht erwartet.“

Die Fraktion Die Linke habe sich schon an einiges von der Koalition gewöhnt, „aber dass nun auch noch ihre Mehrheit dazu genutzt werden soll, einem Koalitionsmitglied einen gut dotierten Posten zu verschaffen, ist selbst in Neu-Isenburg ein Novum“, wettern Edgar Schultheiß und Renate Wissler. Und das auf Kosten der Steuerzahler. Die jährlichen Zusatzkosten in Höhe von rund 140 000 Euro sollten für soziale Projekte genutzt werden. Die Wahl von Hagelstein werde ignoriert und der Wählerwille mit Füßen getreten. Für die Linke ist eine Bürgerbefragung zur Schaffung eines zusätzlichen Stadtrats überlegenswert, „gerade weil das zur Kommunalwahl und zur Bürgermeisterwahl nicht zur Debatte stand“.

Auch Bund der Steuerzahler gegen zusätzliche Stelle

Auf Anfrage nahm der Bund der Steuerzahler gestern Stellung. Der Vorsitzende Joachim Papendick schreibt: „Der BdSt Hessen lehnt die geplante zusätzliche Stadtratsstelle in Neu-Isenburg ab. Durch die Ausweitung auf drei Hauptamtliche würde Neu-Isenburg mit fünf der sieben hessischen Sonderstatusstädte gleichziehen, die mit über 50 000 Einwohnern deutlich mehr Aufgaben wahrnehmen. Die Zahl der Hauptamtlichen muss nach sachlichen Kriterien festgelegt werden und nicht nach dem Parteienproporz. Gerade in Krisenzeiten sollte die Kommunalpolitik darauf verzichten, neue Posten nach Parteibuch zu schaffen, nur um alle Koalitionspartner zufriedenzustellen. Die Verantwortlichen sollten dabei nicht nur die unmittelbaren Kosten im Blick behalten. Schließlich kommen bei hauptamtlichen Beigeordneten neben den Bezügen in der Regel noch Kosten für persönliche Referenten, Sekretariat, Büro, Beihilfe, Pensionsansprüche etc. hinzu. Gerade letzteres dürfte den Haushalt Neu-Isenburgs über Jahrzehnte belasten.

Grundsätzlich fordert der Bund der Steuerzahler Hessen das Land als Gesetzgeber auf, eine nach Einwohnern gestaffelte Obergrenze einzuführen. Damit könnte der Neigung der Politik nach immer neuen Posten ein Riegel vorgeschoben werden. Nach der Kommunalwahl im Frühjahr 2021 beobachtet der BdSt Hessen in zahlreichen Kommunen und Landkreisen eine Ausweitung der hauptamtlichen Stellen, zumeist zur Abbildung der neuen Koalitionen. Unbestritten stehen die Kommunen vor enormen Herausforderungen. So kann jede Kommune sicher eigene Argumente anführen, warum aus ihrer Sicht zusätzliche hauptamtliche Beigeordnete nötig sind. Daher brauchen wir eine gesetzliche Regelung mit Obergrenzen durch objektive Kriterien, wie der Staffelung nach Einwohnern.“

Schultheiß und Wissler kritisieren zudem, dass gleichzeitig auch noch die in Neu-Isenburg ansässige Wirtschaft mit der geplanten Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes ein Weihnachtsgeschenk bekomme. Gerade in unsicheren Zeiten sei eine Gewerbesteuersenkung das falsche Signal.

Von Holger Klemm

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