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Vielfältige Neu-Isenburger Welten in Museums-Vitrinen

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Von: Barbara Hoven

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Da steckt viel Herzblut drin: In der Vitrine des Briefmarkensammler-Vereins ist das Stadtwappen von Neu-Isenburg aus Briefmarken gestaltet. Insgesamt 28 Vereine sind bei der Schau, die bis Ende Februar 2023 im Haus zum Löwen zu sehen ist, mit im Boot.
Da steckt viel Herzblut drin: In der Vitrine des Briefmarkensammler-Vereins ist das Stadtwappen von Neu-Isenburg aus Briefmarken gestaltet. Insgesamt 28 Vereine sind bei der Schau, die bis Ende Februar 2023 im Haus zum Löwen zu sehen ist, mit im Boot. © -Postl

Auch nach sechs Jahren im Amt gehen Christian Kunz die Ideen nicht aus. Mit Neuerungen wie dem Eintrittsmodell „Zahle was du willst“ hat der Museumsleiter die Besucherzahlen deutlich steigern können. Auch partizipative Formate sind ein großes Thema für ihn, um Menschen für die die beiden Neu-Isenburger Museen zu begeistern. Mit der neuen Ausstellung „Verein(t) – gelebte Vielfalt“ will das Stadtmuseum den Vereinen nach der komplizierten Corona-Zeit eine neue Form bieten, sich darzustellen.

Neu-Isenburg - Wie viel Arbeit hinter der Schau steckt, die am Donnerstag, 1. September, um 19 Uhr eröffnet wird, und in welche Richtung sich die beiden Museen entwickeln, schildert der 46-Jährige im Interview.

Woher kam die Idee, eine Ausstellung über Vereine zu initiieren?

Der Grundstein wurde 2017 während der Vorbereitung zur Ausstellung „DaSein“ gelegt, als ein junger Mann, der als unbegleiteter Geflüchteter aus Syrien nach Frankfurt gekommen war, feststellte: „Deutsche Vereine, das ist schon etwas Seltsames. Eine Stimme ist erst einmal allein, aber wenn man hier in einem Verein ist, dann werden viele Stimmen gleich viel mehr gehört als die gleiche Zahl Stimmen einzeln!“ Die Neu-Isenburger Vereinswelt ist sehr vielfältig und im Museum arbeitet man ja häufig mit Vereinen zusammen, dazu sind wir bei Inventarisierungsarbeiten im Museumsdepot auf alte Vereinsfahnen gestoßen, alle von Vereinen, die heute nicht mehr existieren. Einige Vereinsvertreter hatten in Gesprächen darüber berichtet, dass durch die Pandemie die ehrenamtliche Arbeit in den Vereinen deutlich schwerer geworden war und teilweise ja auch zum Erliegen gekommen ist. So wurde für uns ganz schnell klar: Das Museum kann eine Möglichkeit bieten, den Vereinen einmal eine neue Form zu bieten, sich darzustellen.

War es schwierig, genug Gruppierungen für das Projekt zu gewinnen?

Wir hatten zunächst mit keiner hohen Beteiligung gerechnet. Umso überraschter waren wir, als sich kurz nach unserem Presseaufruf binnen kürzester Zeit 28 Vereine gemeldet haben. Einige fragten: „Sind wir überhaupt ein passender Verein?“ Sie waren davon ausgegangen, dass die Ausstellung vor allem für Sport- und Kulturvereine wäre. Natürlich wollten wir die ganze Vereinsvielfalt unserer Stadt darstellen und haben uns über jede Beteiligung gefreut.

28 Vereine unter einen Hut zu bringen, das ist vermutlich kein Pappenstiel. Wie lief die Vorbereitung?

Partizipative Museumsarbeit ist immer mit viel Kommunikation verbunden. Alle Beteiligten arbeiteten auf ihre Weise und oft war der Übergang zwischen dem Museum als Ausstellungsort, Dienstleister oder Offenes Ohr für aktuelle Probleme fließend. Einige Vereine sahen die Ausstellung als Chance an, neue Konzepte zu denken. Dementsprechend war die Vorbereitung zeitintensiv und bisweilen turbulent, aber gleichzeitig konnten wir beobachten, wie sich ein ganz neues Netzwerk entwickelt hat.

Wie kann man Vereinsleben für ein Museum lebendig aufbereiten? Was erwartet die Besucher?

Unsere Grundannahme war: „Vereine sind Experten für ihre inhaltlichen Themen und für Vereinsleben, das Museum ist Experte im Ausstellen. Wir arbeiten Hand in Hand.“ Jede Ausstellungstafel, jede Vitrine und jeder Beitrag im umfangreichen Rahmenprogramm der Ausstellung wurde von den Vereinen konzipiert und erarbeitet, dann im Museum in ein gemeinsames Konzept gebracht. Dementsprechend können sich die Besucher auf eine Vielfalt aus Beiträgen, Texttafeln, Objekten, Filmen und Tonbeispielen freuen, die die Vielfalt des Neu-Isenburger Vereinslebens spiegelt. Die KulturRegion FrankfurtRheinMain hat sich ebenfalls das Jahresthema „VEREIN(T)“ gegeben und nun wird es in Kooperation zwei Lesungen an besonderen Orten geben, einmal im Waldschwimmbad und einmal für Kinder und Jugendliche in der Halle der TSG.

Wo stehen Vereine heute zwischen Vereinsmeierei und gesellschaftlicher Modernisierung? Welche Bedeutung haben sie für Demokratie und Teilhabe?

Die Schere zwischen Vereinsmeierei und gesellschaftlicher Modernisierung gibt es, seit es Vereine gibt, in Neu-Isenburg seit mindestens 190 Jahren. So gibt es immer wieder ein Vereinssterben, wenn es die Vereine nicht schaffen, mit der Zeit zu gehen. Gleichzeitig sind Vereine die Möglichkeit, zumeist relativ niedrigschwellig, mit Anderen zusammenzukommen, gemeinsamen Interessen nachzugehen und diese Interessen damit zu stärken. Damit bieten sie eine intensive Möglichkeit zur Teilhabe an unserer Gesellschaft. Vereine sind demokratische Strukturen, die Mitgliederversammlungen wählen die Vorstände. Egal ob man sich in manchen Vereinen um das despotische Gebaren einzelner Vorstandsmitglieder beschwert, grundsätzlich hat jedes Mitglied die Möglichkeit, am Kurs des eigenen Vereins etwas zu ändern. So bilden Vereine unsere Gesamtgesellschaft im Kleinen ab.

In der modernen „Mitnahmegesellschaft“ wird es für Vereine immer schwerer, engagierte ehrenamtliche Helfer zu finden. Werden auch die Sorgen und Nöte thematisiert?

In einigen der Vereinsbeiträge zur Ausstellung klingt diese Problematik an, auch ist ein Bereich „ausgestorbenen“ Neu-Isenburger Vereinen gewidmet. Auch im Rahmenprogramm der Ausstellung, etwa in den im nächsten halben Jahr von den Vereinen gestalteten Museumsstammtischen „Bembeltreff“ an jedem ersten Freitag im Monat, werden die aktuellen Sorgen und Nöte thematisiert werden.

Worauf freuen Sie sich bei der Schau  besonders? Was hat Sie überrascht?

Besonders überrascht hat mich persönlich ein ganz klares Statement der beteiligten Vereine in der ersten Planungssitzung. Wir hatten den Vereinen als kleine Belohnung einen Workshop im Museum nach Wahl der Beteiligten in Aussicht gestellt. Schnell hatte man sich auf ein Wunschthema geeinigt: „Vereine in der Migrationsgesellschaft“. Einige hatten bereits erkannt, dass ihre Strukturen und Vorgehensweisen unsere moderne Gesellschaft oft nicht mehr abbilden, andere sind bereits auf einem guten Weg, suchen aber ständig nach Möglichkeiten, ihre Stärken auszubauen. Deshalb bin ich schon sehr gespannt auf die Workshops – denn aufgrund der großen Nachfrage sind aus einem inzwischen zwei geworden –, die wir mit dem Kompetenzzentrum Vielfalt und dem Programm „Demokratie leben“ veranstalten werden.

Was steht als Nächstes an? In welche Richtung sollen sich die Museen entwickeln, wo sehen Sie die Herausforderungen?

In beiden Museen sind wir gerade auf einem guten Weg. Sie sind – durch „Zahle was du willst“, aber auch durch die Themenwahl der Ausstellungen – niedrigschwellig für alle Neu-Isenburgerinnen und Neu-Isenburger. Das Stadtmuseum bietet nicht nur einen Blick in unsere Stadtgeschichte, sondern greift auch immer wieder aktuelle Themen und deren historische Bezüge auf, wann immer es möglich ist auch mit partizipativen Anteilen aus der Stadtgesellschaft. So ist es ein Museum für Alle. Das Zeppelin-Museum erwacht gerade aus einer Art Dornröschenschlaf, die historische Bedeutung und Einmaligkeit vieler seiner Objekte wird langsam auch in der Region bewusster. International war dies ja schon länger bekannt, hatten wir doch dieses Jahr schon Gäste aus 43 Nationen. Wir arbeiten gerade an der Sichtbarkeit in der Region und an ausgedehnteren Öffnungszeiten, wie wir es gerade mit täglichen Museumsöffnungen in den hessischen Schulferien ein ganzes Jahr testen durften – mit sensationellem Erfolg: Bis Ende Juli konnten wir schon mehr Besucherinnen und Besucher begrüßen als in einigen Vorjahren im ganzen Jahr. Wir sind also gespannt, wie es Ende des Jahres aussehen wird!

Das Gespräch führte

Barbara Hoven

Derzeit hat er mit dem Aufbau noch alle Hände voll zu tun: Christian Kunz am Plakat zur neuen Sonderausstellung „Verein(t) – gelebte Vielfalt“, die am Donnerstag, 1. September, um 19 Uhr eröffnet wird.
Derzeit hat er mit dem Aufbau noch alle Hände voll zu tun: Christian Kunz am Plakat zur neuen Sonderausstellung „Verein(t) – gelebte Vielfalt“, die am Donnerstag, 1. September, um 19 Uhr eröffnet wird. © postl

Zur Person

Christian Kunz hat im August 2016 die Stelle als Leiter der beiden Neu-Isenburger Museen angetreten. Der gebürtige Frankfurter, der Geschichte und Physik fürs Lehramt studierte, ist seit vielen Jahren als Museumspädagoge tätig. Im Jahr 2009 erhielt er den Eugen-Hartmann-Didaktikpreis des Physikalischen Vereins in Frankfurt. Danach arbeitete er im Historischen Museum Frankfurt, dem Kindermuseum, der Saalburg, dem Naturmuseum Senckenberg und dem Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim. Christian Kunz engagiert sich im Vorstand des Vereins für Zeppelin-Luftschifffahrt Zeppelinheim und des Vereins für Geschichte, Heimatpflege und Kultur (GHK) und ist im Vorstand des Hessischen Museumsverbands, wo er den Arbeitskreis Museumspädagogik vertritt. Der 46-Jährige lebt in Frankfurt. hov  

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