„Lieber Karl, behalte das Geld“: Apotheke in Obertshausen sieht Existenz bedroht – 50-Cent-Zuschuss sorgt für Ärger

Bis der Kunde an sein Medikament kommt, kann es auch in Obertshausener Apotheken dauern. Mit einem Streik wollen Apotheker auf ihre Situation aufmerksam machen.
Obertshausen – Lieferengpässe erschweren die Arbeit der Apotheken erheblich. Wenn ein Medikament nicht verfügbar ist, kann im besten Fall innerhalb von wenigen Minuten eine Alternative gefunden werden. Es kann aber auch bis zu zwei Stunden dauern, berichtet Dr. Katrin Rackelmann-Silber von der Birkenwald Apotheke.
Die Arbeit, die hier geleistet werde, werde allerdings weder von der Politik noch von den Krankenkassen geschätzt, kritisiert Melanie Bayer, Inhaberin der Rathaus-Apotheke. „Die Kassen müssen mehr Geld an die Hersteller bezahlen, damit wir wieder beliefert werden“, sagt Bayer. Um auf ihre Situation, die laut Bayer langfristig ihre Existenz bedrohe, aufmerksam zu machen, beteiligen sich beide Apotheken an einem Streik am 14. Juni.
Lieferengpässe bei Obertshausener Apotheken: Fiebersäfte für Kinder fehlen
Gründe für Lieferengpässe werden Melanie Bayer weder von Herstellern noch von Großhändlern genannt. Eine Vermutung der Apothekerin ist, dass nur ein Anteil des Herstellerkontingents nach Deutschland geliefert werde. Bayer sieht die Krankenkassen in der Pflicht zu handeln. Denn die Kassen schlössen Rabattverträge mit den Herstellern ab. Diese seien nach Meinung von Bayer veraltet und noch auf einem Niveau vor den Preisanstiegen. Deshalb würde ein Großteil der hergestellten Medikamente nicht nach Deutschland, sondern ins europäische Ausland geliefert werden, das mehr dafür bezahle.
Darunter leiden auch kleinere Apotheken wie in Hausen. Beide Apotheken werden wegen ihrer Nähe zu einer Kinderarztpraxis häufig von Eltern mit kranken Kindern aufgesucht. Weiterhin seien etwa Fiebersäfte für Kinder schwer zu bekommen. „Engpässe gab es in einem normalen Maß schon immer, doch jetzt ist es absurd. Es betrifft jede Art von Medikament“, sagt Rackelmann-Silber.
Arzneimittel knapp: 146 Artikel werden in Obertshausen täglich abgefragt
In der Rathaus-Apotheke von Bayer stehen am Montag 146 Artikel auf einer Liste, die mehrmals täglich auf ihre Verfügbarkeit abgefragt werden. Darunter sind Antibiotika, Antidepressiva und Schmerzmittel auch für Kinder. Normalerweise hat die Apotheke all diese Präparate in ihren Regalen. Für manche können Packungen anderer Hersteller bestellt werden, in anderen Fällen sind auch diese zumindest zeitweise nicht zu bekommen.
Das führt zu brenzligen Situationen: Im Notdienst hat Katrin Rackelmann-Silber am Telefon mit einem Arzt ausgerechnet, wie sie ein Antibiotikum für Erwachsene richtig für ein Kind dosieren kann. „Es ging um die beste der schlechten Lösungen“, sagt sie, da ein Saft für Kinder nicht vorrätig war.
Apotheken in Obertshausen üben Kritik an Aufwandsentschädigung
Die Politik müsse reagieren, doch „das Gesundheitssystem kennt den Zustand ‘nicht verfügbar’ gar nicht“, sagt Rackelmann-Silber. Melanie Bayer schildert, sie habe fehlende Medikamente gemeldet. Doch es habe geheißen, es gebe keinen Mangel, sondern nur ein Verteilungsproblem. Also dürfe sie Alternativen, die nicht in Deutschland, aber in anderen europäischen Ländern zugelassen sind, nicht importieren.
Am Ende sei ihre Meldung auch an das Bundesgesundheitsministerium weitergegeben worden. „Aber da hat es niemanden interessiert“, sagt Bayer. Für die Bewältigung der Lieferengpässe sollen die Apotheken nach einem beschlossenen Entwurf der Bundesregierung nun einen Zuschuss von 50 Cent pro Fall bekommen. Das sei laut der Chefin der Birkenwald Apotheke ein Betrag, der in keinem Verhältnis zum Aufwand stehe: „50 Cent sind beschämend. Lieber Karl, behalte das Geld. Ich werde es nicht abrechnen“, sagt Rackelmann-Silber in Richtung des Gesundheitsministers Karl Lauterbach.
Bayer wünscht sich, grundsätzlich gut für ihre Arbeit bezahlt zu werden. Tariferhöhungen, steigende Energiekosten und eine Erhöhung des Zwangsrabatts an die Krankenkassen würden sie sehr belasten. „Die Apotheken brauchen dringend eine Erhöhung des festgelegten Aufschlags, der seit 2004 nicht mehr angepasst wurde.“ Sonst würde sich das Apothekensterben fortsetzen. Um die Kundinnen und Kunden darüber zu informieren, wollen beide Apotheken den Streiktag nutzen. (Theresa Ricke)
Ein Lieferdienst greift die Apotheken in Offenbach und Umgebung an.