Ursula Zepter kreiert „Main-Town-Feeling“ im Atelier 13

Manche Städte und Orte galten früher erst etwas, wenn sie vom Schweizer Renaissance-Meister Matthäus Merian als Kupferstich konterfeit wurden. Heute erledigt das die 1948 in Offenbach geborene und aufgewachsene Malerin und Grafikerin Ursula Zepter in zeitangemessenem Stil. Ihre auch handwerklich sehr fundierte Kunst-Mixtur nennt sie „Main-Town-Feeling“, das sie seit 30 Jahren vom Obertshausener „Atelier 13“ aus in die Welt schickt.
Obertshausen – „Da muss ich etwas draus machen“, ist ein Standardsatz des kreativen Kraftpakets, das schon mit 16 Jahren heftig an die Tür von Offenbacher Werkkunstschule klopfte, die Jahre später zur Hochschule für Gestaltung des Landes Hessen wurde. 1964 war Zepter den Hochschullehrern noch zu jung. Also absolvierte die frühbegabte Zeichnerin ab 1965 in Offenbach eine Lehre als Farblithographin. Ihr Vater, der bekannte Formenbauer und Schreiner Karl Schwinn, hätte sie lieber in seiner Tischlerwerkstatt gesehen. Seine Tochter aber setzte ihren Kopf durch – bis heute. 1973 bis 1979 absolviert sie ihr Kunst- und Fotografie-Studium an der HfG und wurde Diplomdesignerin. Ab 1985 wagte sie den Schritt in die freischaffende Kunst, seit 1992 ließ sie sich mit ihrer Familie in Obertshausen nieder. Vom dortigen Atelier 13 in den ehemaligen Räumen eines Feintäschner-Kleinbetriebs entwickelt sie seit 30 Jahren neue Ideen, für die sie unter anderem 2012 den Kulturpreis des Kreises Offenbach erhielt. Von ihren zahlreichen Werken sind die farbstarken Gemälde und Digital-Collagen der Serie „Main-Town-Feeling“ die bekanntesten mit ihrer facettenreichen Symbiose aus kubistischer Formzerlegung, expressiv gesetzten Kraftlinien und Flächen sowie oft poppigen Farbwirkungen.
Dazu die Künstlerin: „Egal, ob ich als Kind Diphterie hatte oder als 23-Jährige eine gefährliche Typhusinfektion, ich ging gestärkt und mit Entschlossenheit aus Lebenskrisen hervor.“ Dabei ist die Kunst ihr roter Faden, die ihr in allen Lagen geholfen hat. Im Atelier begegnet man Zepters Kunststationen: den parodistischen „Weibsbildern“, figürlichen Malereien und Menschenbildern oder dem dreiteiligen Gemälde „Jenseits der Zeit“. Und dann wären natürlich noch ihre Meisterwerke zum Bau der Offenbacher S-Bahn und Originalentwürfe für große Wandbilder in Bieber-Waldhof, die der Offenbacher Spraykünstler Marcus Dörr auf Häuserwänden und in S-Bahn-Unterführungen ins Großformat übersetzte. Man sieht, wie organisch Hochhaustürme, Brücken, Gärten, Wohnblöcke, Kirchen und Palais von Frankfurt und Offenbach verschmolzen sind.
Die vielseitige Künstlerin gibt Einblick in ihre akribische Methodik: „Meine Digital-Collagen sind keineswegs einfach durch Hin- und Herschieben am Fotoshop meines MacIntosh entstanden.“ Zuerst brauche sie Inspiration, zeichnet ihr Ausgangsbild. Klärt dessen Strukturen, fügt Farben hinzu. Dann erst entstehen Digitalfotos, die mit anderen Fotos und Malausschnitten überlagert werden. „Dabei können schon mal bis zu 30 Bildebenen entstehen.“ Niemand kann der wahrhaft vielschichtigen Künstlerin solche Kompositionen bisher nachmachen, die auch in gesprayter Version auf Hauswänden imponieren, als Großposter an Bushaltestellen oder als Motiv auf T-Shirts. Zepter schafft mit solchen Kreationen auch Identität in abseits liegenden Stadtteilen. Das künstlerische Kaleidoskop des „Main-Town-Feeling“, seine Versatzstücke, sein Über- und Ineinander der Raumebenen, seine Krümmungen und stürzenden Linien, bei denen es einem fast schwindelig wird beim Betrachten, ist mehr als nur artifizielle Spiegelung von Architektur. Die Bildwelt, die auch einiges mit Zepters Lebenskurven zu tun hat, steht für unsere unsichere Zeit, in der der Boden nicht nur wegen Corona zu schwanken beginnt. Erstaunlich krisenfest hat sie sich in unserer dynamischen urbanen Welt und deren Umbrüchen eingerichtet und macht – auf ihre Art – Schritt für Schritt das Beste draus. Dabei ist immer wieder erstaunlich, wie Zepters Kunst nicht nur dem Römer oder Lili-Park großen Zauber abgewinnt. (Von Reinhold Gries)
Infos im Internet unter atelier-13.de