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Umstrukturierung bei Traditionsgeschäft: Ein Drittel der Mitarbeiter muss gehen

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Von: Jan Max Gepperth

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Georg Picard, Geschäftsführer von Lederwaren Picard, möchte die Wertigkeit seiner Produkte herausstellen.
Georg Picard, Geschäftsführer von Lederwaren Picard, möchte die Wertigkeit seiner Produkte herausstellen. © Gepperth

Lederwaren Picard in Obertshausen ist ein bekannter Hersteller in der Region um Offenbach. Nach einer finanziellen Krise stellt sich das Unternehmen neu auf.

Obertshausen – Der Name Picard ist eng mit der Kleinstadt mit Herz verbunden. Seit 1928 gibt es den Lederwarenhersteller. Doch 2020 hatte das Unternehmen mit finanziellen Problemen zu kämpfen, sodass ein Schutzschirmverfahren eingeleitet und Picard umstrukturiert werden musste. Geschäftsführer Georg Picard spricht über die neue Strategie und die schwere Zeit.

„Die ersten Anzeichen haben wir 2019 mitbekommen“, erinnert sich der Geschäftsführer. Damals seien vor allem viele Fluggäste aus Fernost weggebrochen, was zu starken Umsatzeinbußen führte. Die Lage spitzte sich zu, als im März 2020 etwa 30 Prozent weniger Aufträge eingingen und Großkunde Galeria Kaufhof nicht mehr zahlte. Die Hausbank des Unternehmens forderte ein Sanierungsgutachten und lehnte ein Darlehen ab.

Kreis Offenbach: Lederwaren Picard aus Obertshausen stand ein Schutzschirmverfahren durch

„Wir haben dann eine Liquiditätsprüfung für die Zeit bis Ende des Jahres 2020 durchgeführt“, erinnert sich Picard an den April 2020 zurück. „Uns war dann klar, dass es im schlimmsten Fall im September knapp wird.“ Daraufhin reagierte der Geschäftsführer schnell und zog Spezialisten zum Thema Insolvenz zurate. „Wir haben uns dann für die mildeste Form der Insolvenz entschieden: das Schutzschirmverfahren.“ Dabei erhält ein Unternehmen einen dreimonatigen Gläubigerschutz, in dem es keine Zahlungen leisten muss. Während dieser Zeit muss ein Sanierungsplan erstellt werden, der bei Gericht einzureichen ist. Dabei geht es um Mitarbeiterabbau, Kosteneinsparungen, Restrukturierungsmaßnahmen sowie eine Liquiditätsplanung für die Zukunft. „Wenn man im Schutzschirm ist, bedeutet das nicht, dass das Unternehmen schon insolvent ist“, stellt Georg Picard klar. „Es zeigt nur eine drohende Zahlungsunfähigkeit an.“

Um solvent zu bleiben, entschied man sich, Grundstücke zu verkaufen. „Damit konnten wir unsere Liquidität wahren“, sagt Picard. Auch das Thema Stellenabbau nahm viel Raum innerhalb des Plans ein. „Dazu haben wir uns überlegt, wie wir das möglichst sozial verträglich umsetzen.“

Lederwaren Picard in Obertshausen: Zahlreichen Mitarbeiter neue Jobs verschafft

Von den 150 Mitarbeitern musste sich Picard von 50 trennen. Man habe die Transfergesellschaft 10K aus Speyer ins Boot geholt. Die Betroffenen seien in die Transfergesellschaft gewechselt und dort über neun Monate für mögliche neue Jobs gecoacht worden. Zusätzlich hätten sie dabei einen großen Teil ihres Gehalts erhalten. „Wir haben es bis Mai 2021 geschafft, 43 dieser Mitarbeiter weiter zu vermitteln“, berichtet Picard stolz. Den verbleibenden Angestellten ist Picard sehr dankbar, dass sie in dieser schwierigen Zeit loyal und leidenschaftlich für das Unternehmen gearbeitet und gelebt hätten.

Auch die Strategie des Unternehmens wurde überarbeitet. „Wir setzen unseren Fokus jetzt mehr auf Nachhaltigkeit und Wertigkeit.“ Man wolle mehr das Handwerk, das in der Produktion einer Tasche steckt, sowie deren Herkunft hervorheben.

Dazu plane man mittelfristig die Einrichtung einer gläsernen Manufaktur, um das Handwerk noch sichtbarer zu machen. „Die Leute wollen sehen, wie die Produkte hergestellt werden.“ Viele seien überrascht, wenn sie erfahren, dass in einer einzigen Tasche 100 Teile verarbeitet sind. „Daher braucht man für eine Tasche im Schnitt vier bis fünf Stunden bis zur Fertigstellung.“

Die Strategie von Lederwaren Picard: Mehr Vertrieb im Internet

Auch im Vertrieb möchte man einen neuen Fokus setzen. Georg Picard spricht von einer stärkeren Orientierung hin zum E-Commerce. „Wir haben dazu eine eigene Abteilung ins Leben gerufen“, sagt er und verweist darauf, dass der Online-Shop des Unternehmens mittlerweile 100 Prozent mehr Umsatz erwirtschafte als 2020. „Das reicht zwar noch nicht, aber es zeigt, dass wir in die richtige Richtung gehen.“

Trotz der Forcierung des Online-Handels wolle man jedoch den stationären Handel nicht aus den Augen verlieren, da dieser auch für die Innenstädte wichtig sei. Für die neun verbliebenen eigenen Läden, die sich vorwiegend in Flughäfen befinden, habe man die Verträge neu verhandelt, sodass man wirtschaftlich sinnvoll arbeiten könne. Fünf Läden mussten geschlossen werden.

Georg Picard zeigt sich zuversichtlich für die Zukunft, schließlich habe vor allem das Täschnerhandwerk etwas, das die Menschen immer noch fasziniere. „Es gibt immer Quereinsteiger, auch ältere Semester, die bei uns das Handwerk erlernen wollen“, sagt er. „Es scheint also immer noch ein spannendes Berufsbild zu sein.“ (Von Jan Max Gepperth)

Eine Traditionsbuchhandlung in Obertshausen im Kreis Offenbach macht endgültig dicht – „Wir sind älter als die D-Mark“.

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