Kabarettist Malte Anders: „Ich muss nicht mehr lügen“

Obertshausen - Schwul, lesbisch, bi – soll das Schule machen? – Die „Partnerschaft für Demokratie im Kreis Offenbach“ und die Hermann-Hesse-Schule in Obertshausen sagen Ja und laden den Kabarettisten Malte Anders ein, mit Achtklässlern zu reden. Von Michael Prochnow
Thomas Hitzlsperger ist es, Steffi Jones und viele andere erfolgreiche Sportler. Vielleicht auch Mädchen und Jungen in der Klasse. Die Rede ist von homosexuell, einer Orientierung, die offensichtlich Vorurteile und Zoten provoziert, aber eher selten als Gesprächsthema taugt. Malte ist da Anders, der Künstler hält seinem jungen Publikum in der Aula den Spiegel vor, und plötzlich ist Homologie so normal wie kicken oder spicken.
Außer für ein paar Jungs in der ersten Reihe, die mit provozierenden Fragen und Gekicher um Aufmerksamkeit heischen. Das kennt Malte von vielen Auftritten in Schulen, auch aus seiner eigenen damals. Aus diesem Grund hat er erst mit 19 und nur die engsten Freunde eingeweiht. Für die war es kein Problem, dass er schwul ist, vielmehr gab sich seine beste Freundin als Lesbe zu erkennen.
Für Maltes Mutter dagegen ist es bis heute schwer. „Ich hab es ihr an Weihnachten gesagt, danach hatten wir drei Monate keinen Kontakt“, erzählt der Mann auf der Bühne. Malte hat noch einige Beispiele auf Lager, seinen Klassenkamerad Bilal, eine „verdammt coole Socke“, der zuckertriefende Baklava in seiner türkischen Brotbox hat und furchtbar neugierig ist. Oder die Umkleideräume: Bei den Jungs stinkt’s immer nach einer Mischung aus Komposthaufen und Tierpark. „Wir hätten uns lieber bei den Mädchen umgezogen“, erheitert Malte seine Zuhörer, „da duftet es nach Aprikosen und Schmetterlingen“.
Anders ist normal. Und es sind meistens andere, die ein Problem mit dem Anders-Sein haben. „Textaufgabe: Zehn Prozent der Menschen in der Republik sind homosexuell, es gibt 9,4 Prozent Bewohner mit einer nicht-deutschen Staatsbürgerschaft. Wie viele homosexuelle Migranten leben hier?“ Laut Statistik müssen es 761 000 sein, „genauso viele wie Lehrkräfte“. Leider fördern viele Schulbücher Klischees: Jungs spielen mit Autos, Mädchen mit Puppen. Und schon schildert Malte seine einschlägigen Erfahrungen mit der Spielpuppe „Baby Born“.
Die Teenager informiert er auch, in welchen Ländern sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit lieber nicht Liebe bezeugen. In Amerika lebe dagegen ein Indianerstamm, der schon immer gleichgeschlechtliche Paare akzeptiert. Begründung: „Nur durch Respekt entsteht eine starke Gemeinschaft“. Im Übrigen gebe es bei fast jeder Tierart und bei Pflanzen Homosexualität.
Die fünf achten Klassen des Haupt- und Realschulzweigs sind eingeladen, Fragen an Malte zu richten. Der heißt eigentlich Timo Becker, stammt aus Herborn, studiert Grafikdesign, Sozial- und Theaterpädagogik und hat mit seiner Homologie zunächst ein erwachsenes Publikum unterhalten. Mit seinem amerikanischen Freund lebt er in Frankfurt. Händchen halten mit dem Partner? „In der Stadt ist das kein Problem“. „Unterschiedliche Hautfarbe, Nationalität oder Größe des Gehirns – damit müssen wir leben“.
Timo Becker bekennt, „ich bin gerne ein Mann“, seine Beziehung laufe gleichberechtigt in Küche und Bett. Er „war schon in der Grundschule in Steffen verschossen, ich hab aber wie alle gesagt, ich liebe die Nadja“. Als er sich mit 19 erklärt hat, bejahte er eine weitere Frage, habe das durchaus sein Leben verändert. „Ich muss nicht mehr lügen, ein Lügengerüst kann echt anstrengend sein.“
Heute findet er, es ergebe vielmehr Sinn, wenn etwas fremd ist. Es lohne sich, andere anzuhören, sich nicht immer nur mit denselben Leuten und Meinungen zu beschäftigen. „So kommt man weiter im Leben.“