Der brasilianische Sport Capoeira ist bei der TGO vor allem bei Kindern beliebt

Neues macht neugierig, und das gilt freilich auch für Sportarten, die vor Ort bislang weniger verbreitet sind. Zum Beispiel Capoeira, wenngleich die Turngemeinde Obertshausen (TGO) bereits vor fünf Jahren eine eigene Abteilung für den brasilianischen Kampfsport eröffnete. Dabei geht es nicht allein darum, einen Angreifer in die Flucht zu schlagen. Die Kreativität der Disziplin zieht Sportbegeisterte vom Knirps bis zum Greis an.
Obertshausen – Barfuß, mit gespreizten Beinen und in der Hocke, die angewinkelten Arme im Takt der Musik hin und her schaukelnd, so nehmen sich die beiden Schüler ins Visier. Bis der eine sich aufrichtet, das rechte Bein ausstreckt und in Richtung seines Gegenübers dreht. Der Angegriffene duckt sich elegant weg. Der Ablauf wiederholt sich, manchmal wendet sich einer von beiden radschlagend ab.
Besonders kampflustig sieht das nicht aus. Alle Bewegungen sind harmonisch auf die Rhythmen der Berimbau abgestimmt: Ein dünner, gebogener Ast, bespannt über einem ausgehöhlten und gehärteten Kürbis, verbreitet eine Melodie. Die Saiten werden mit einem Stein angeschlagen, der Spieler singt dazu in seiner Muttersprache. Angolano alias Mario Carmo da Silva beherrscht nicht nur die Choreografie der Sportart. Der Meister spielt auch gekonnt das typische Instrument.
2016 brachte er mit seiner Partnerin Tatjana Höhn Capoeira nach Obertshausen. Bevor er nach Europa kam, hat er es in seinem Heimatort Souto Soares in Bahia und in Sao Paolo trainiert. Seinen Spitznamen Angolano verlieh ihm sein erster Meister in Bahia wegen seiner dunklen Hautfarbe. Regelmäßig nimmt er weitere Lieder in sein Repertoire auf, sagt er. „Sie erzählen die Geschichte der Sklaven oder was gerade in der Roda, dem Kreis, in dem sie zusammenstehen, passiert. Manche Stücke huldigen auch den alten Meistern.“
„Manche Schüler lieben mehr das Musikalische, andere sind eher an der kämpferischen Seite interessiert, genießen die ruhigen Phasen, die akrobatischen Teile oder erforschen den kulturellen Hintergrund“, schildert Assistentin Höhn. „Capoeira ist so unterschiedlich wie die Menschen, man kann sich da sehr gut selbst einbringen.“ Der Kampfsport habe seinen Ursprung in afrikanischen Tänzen. Während der Kolonialzeit wurde er von Sklaven nach Brasilien gebracht und dort weiterentwickelt. Die „Capoeiristas“ setzten ihre Kampftechniken gegen rivalisierende Banden und die bewaffnete Obrigkeit ein. „Das führte dazu, dass man die Kämpfer zunächst verfolgte und später die Ausübung sogar unter Strafe stellte.“
Dieses Verbot bestand bis 1937, als der Diktator Getúlio Vargas beschloss, mit der Capoeira einen nationalen Sport zu etablieren, heißt es in der Chronik. „Mestre Bimba gründete eine Schule zum Erlernen des Tanzes und ergänzte die traditionellen Formen mit Elementen verschiedener Kampfkünste.“ Heute unterscheidet man zwei Hauptrichtungen: Den „alten“ Capoeira Angola und den „modernen“ Capoeira Regional.
Bei der TGO frönen überwiegend Kinder dem Angebot. „Sie lieben die kämpferischen, akrobatischen Elemente mit Musik“, bemerkt Abteilungsleiterin Höhn. Weitere Vorzüge des jungen Sports seien die Gruppendynamik und der Respekt, und dass er keine typischen Wettkampf-Formen aufweise, was ihn von anderen Kampfsportarten unterscheide. „Die Teilnehmer werden beweglicher, verbessern Koordination, Gleichgewicht, Körperbeherrschung, Kraft und Stärke“, wirbt die Sprecherin, „das stärkt auch das Selbstbewusstsein“. Viele Anfänger seien überrascht, dass Capoeira so vielschichtig ist. „Und die Kinder lernen ein bisschen portugiesisch.“
Im Training vermittelt Angolano einzelne Sequenzen. Im zweiten Teil der Übungsstunde können die Aktiven frei Bewegungen kombinieren, müssen spontan auf Kick und Ausweichen reagieren. Fortgeschrittenen zeigt der 45-jährige Maculele die Version mit Stöcken, die kunstvoll gedreht werden. „Das ist freilich auch ein bisschen riskant“, gibt er zu.
Das Training für die Jüngsten ab vier Jahre ist mittwochs von 16 bis 17 Uhr, die älteren ab acht Jahre treffen sich von 17 bis 18.30 Uhr und freitags von 16.45 bis 18 Uhr in der Turnhalle der Sonnentauschule. Am 16. November läuft ein Schnupperkurs für Erwachsene, die immer dienstags von 20 bis 21.30 Uhr üben. In Heusenstamm laufen Kurse im eigenen brasilianischen Sport- und Kulturverein. (Von Michael Prochnow)