1. Startseite
  2. Region
  3. Obertshausen

„Ich bin nicht depressiv“: Obertshausenerin Hana Mundil fordert Aufklärung über ME/CFS

Erstellt:

Von: Theresa Ricke

Kommentare

Hana Mundil möchte wieder so lachen können wie einst.
Hana Mundil möchte wieder so lachen können wie einst. © p

Hana Mundil leidet an einem Erschöpfungssyndrom ME/CFS. Doch viele Menschen nehmen ihre Krankheit nicht ernst. Sogar vor Ärzte muss sie sich rechtfertigen. 

Obertshausen – „Mein Anliegen ist es, einen Beitrag zu einer besseren Aufklärung über ME/CFS beizutragen“, sagt Hana Mundil. Die Apothekerin lebt seit 25 Jahren in Obertshausen. Seit 2019 ist sie arbeitsunfähig. Sie leidet an ME/CFS. Das steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Vielen Menschen muss Mundil ihre Krankheit erklären und greift auf die verständlichere Bezeichnung Erschöpfungssyndrom zurück. Dann hört sie oft: „Ich bin auch erschöpft nach der Arbeit.“ Auch gegenüber Ärzten muss sie sich immer wieder rechtfertigen. Dabei ist sie nicht bloß erschöpft.

Erschöpfungssyndrom ME/CFS kann Teil von Long-Covid sein

Bei ME/CFS handelt es sich um eine neuroimmunologische Erkrankung, die mit vielen Symptomen auftreten kann: Dazu gehören eine krankhafte Erschöpfung, kognitive Störungen, ausgeprägte Schmerzen, eine Überempfindlichkeit auf Sinnesreize und eine Störung des Immunsystems und des autonomen Nervensystems. Von diesen Symptomen berichtet laut Deutschen Gesellschaft für ME/CFS auch ein bedeutsamer Teil der Long-Covid-Erkrankten. Der Zustand der Erkrankten verschlechtert sich, wenn sie sich körperlich oder geistig überlasten. Das führt zu einem „Crash“.

Es gibt kein Medikament oder eine Therapie, die zu einer Heilung führen. Mit der Paising-Methode schaffen es Betroffene aber, Crashs zu verhindern und die Situation nicht zu verschlimmern. Sie lernen, die ihnen zur Verfügung stehende Energie richtig einzuschätzen. „Es ist wie mit einem Handyakku, der nicht richtig lädt. Nach 24 Stunden ist er nur bei 30 Prozent. Das muss für die nächsten 24 Stunden reichen“, erklärt Mundil die Folgen der Dysfunktion ihres Energiestoffwechsels.

Krankheit ME/CFS muss frühzeitig erkannt werden

Umso wichtiger sei es, dass die Erkrankung frühzeitig erkannt wird, damit sie nicht chronisch wird. Mundil sagt, sie wisse genau, wann es bei ihr angefangen hat: Sie hatte an Weihnachten einen Infekt. Nach den Feiertagen ist sie wieder arbeiten gegangen, obwohl sie noch Symptome hatte. Es wurde schlimmer und sie wurde für zwei Wochen krankgeschrieben. Auch das reichte nicht, damit sich ihr Körper vollständig erholte. Trotzdem ging sie wieder arbeiten. „Ich bin im Kundengespräch in der Apotheke immer wieder kurzfristig eingeschlafen“, erzählt sie. Zuhause sei sie beim Essen eingeschlafen. Sie sagt: „Hätte ich mich damals für drei Monate richtig erholen können, so hätte die Chance bestanden, dass die Erkrankung nicht chronisch wird und ich heute ein ganz normales Leben führen könnte.“

Geht es nach dem Medizinischen Dienst ihrer Krankenversicherung, ist sie nicht arbeitsunfähig. Sie lebt seit einem Jahr von ihren Ersparnissen. Die Belastung durch den Kampf mit der Krankenkasse und den Ärzten, dass ihre Krankheit anerkannt wird, habe zu ihrem bisher schlimmsten Crash geführt.

ME/CFS-Erkrankung wird oft als Depression diagnostiziert

ME/CFS-Patienten haben oft eine Odyssee von einem Arzt zum nächsten hinter sich mit viel Stigmatisierung und Diffamierung. „Viele Ärzte kennen die Krankheit gar nicht oder sie wird einfach schlecht verstanden. So kommt es häufig zu Fehldiagnosen wie Depressionen“, sagt Mundil. Dabei wird ME/CFS seit 1969 von der Weltgesundheitsorganisation als neurologische Krankheit eingeordnet.

Um in Obertshausen und Umgebung in Kontakt mit anderen Betroffenen zu kommen, hat sie einen Aufruf mit einer kurzen Erklärung der Krankheit in die Nachbarschaftshilfe „Obertshausen nebenan“ gestellt. „Es hat sich ein Mann bei mir gemeldet, der weinend am Telefon gefragt hat, wer ich bin. Er hätte das seit 15 Jahren und würde von Arzt zu Arzt rennen. Die hätten ihm eine Depression diagnostiziert.“

Das Fatale bei dieser Diagnose ist, dass oft die falsche Reha verordnet wird. Wer an Depressionen leidet, soll wieder aktiv werden. ME/CFS-Patienten erleiden bei diesen Therapien allerdings regelmäßig Crashs, weil sie sich überanstrengen. „Ich bin nicht depressiv. Ich würde gerne mehr mit meinem Hund spazieren gehen, Geburtstage feiern, meine Kreativität ausleben, aber es ist körperlich nicht möglich“, sagt Mundil. Stark Betroffene könnten das Bett oft nicht mehr verlassen.

Erschöpfungskrankheit ME/CFS noch weitgehend unbekannt

Laut der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS ist die Krankheit in der Öffentlichkeit und unter vielen Ärzten nahezu unbekannt. Auf ihrer Webseite heißt es zur Begründung: „Die Ursachen der Krankheit sind nur wenig erforscht, da die Forschung auf Grund mangelnder Gelder und fehlenden Interesses nur schleppend verläuft.“ „ Mundil findet, dass Ärzte lernen müssten, die Erkrankung schneller zu erkennen. Wenn eine extreme Erschöpfung mit deutlichen Leistungseinbußen auf einen Infekt folgt, müssten die Alarmglocken läuten. Berichtet der Patient, dass sich der Zustand verschlechtert, sollte eine sofortige Schonung erfolgen. Erst nach sechs Monaten ohne Besserung kann die Diagnose ME/CFS gestellt werden. „Das Kardinalsymptom ist die Post-Exertional Malaise (PEM), eine Zustandsverschlechterung nach Überanstrengung. Diese muss gegeben sein.“

Nun sei es an Politik, Gelder für die Forschung zur Verfügung stellen, damit besonders Hausärzte über ME/CFS Bescheid wüssten, meint Mundil. Bis dahin versucht sie selbst, die Krankheit bekannter zu machen. Die durchschnittliche Zeit bis zur Diagnose ME/CFS liege derzeit bei sieben Jahren. (Von Theresa Ricke)

Auch interessant

Kommentare