Selbsthilfegruppe aus Obertshausen verliert vermutlich ihren Treffpunkt

Routine ist für Menschen mit Depressionen besonders wichtig. Doch nun droht einer Selbsthilfegruppe aus Obertshausen der Umzug in einen unpersönlichen Raum.
Obertshausen – Männer kuscheln nicht mit Teddybären. Es entspricht nicht dem typischen Bild eines Mannes. Auch stellen sich die meisten eine Männerrunde wohl biertrinkend und vielleicht dartsspielend vor, aber eher nicht mit Kerzen und Schokoriegeln im Stuhlkreis miteinander redend. Doch trotzdem werden es bei der Selbsthilfegruppe für Männer mit Depressionen nicht nur immer mehr Teilnehmer, sondern auch mehr Plüschbären. „Irgendwie hat doch jeder seinen Lieblingsbären gefunden“, sagt Jörg Engelhardt, Gruppenleiter und selbst von der Krankheit Betroffener.
Es ist nicht das einzige Klischee, mit dem hier gebrochen wird. Hier können die Männer – nach einiger Zeit – Emotionen zeigen und weinen. Doch es gibt auch Tage, an denen sie zusammen lachen, denn Menschen mit Depressionen können auch das. Also warum sollten Männer nicht jedes Mal ein Kuscheltier auf dem Schoß haben, wenn es hilft, sich der Herausforderung zu stellen, sich zu öffnen. Routine sei besonders wichtig für an Depression erkrankte Menschen, weiß Engelhardt aus eigener Erfahrung. „Heute bin ich durcheinander gekommen, weil sich meine Dienste bei der AWO verschoben haben. Gesunde Menschen denken, es ist egal, ob es nun Dienstag oder Donnerstag stattfindet.“ Für depressive Menschen bedeutet es Stress, neue Abläufe, eine Umstellung. Eine sehr große Umstellung steht der ganzen Selbsthilfegruppe bald bevor: Sie könnten ihren Gruppenraum als wöchentliche Anlaufstelle verlieren.
Selbsthilfegruppe aus Obertshausen droht im schlimmsten Fall das Aus
Vom ersten Tag an vor fast exakt sieben Jahren hat sich die Gruppe in ein und demselben Raum in der Seligenstädter Straße getroffen. Jörg Engelhardt war mit der Besitzerin des Hauses bekannt, die nun verstorben ist. Sie habe eine soziale Ader gehabt und den Raum für einen sehr geringen Preis zur Verfügung gestellt. Mit der Förderung der Krankenkassen sei der Raum für Engelhardt bezahlbar gewesen. Nun steht das Haus zum Verkauf. Die finanziellen Mittel der Gruppe reichen nicht aus, es zu kaufen. Also müssen sie den Raum vermutlich bald aufgeben.
„Das Geld reicht nur dazu aus, einen Raum für eine gewisse Zeit in der Woche anzumieten“, sagt Engelhardt. Es hieße: aufschließen, sich kurzzeitig einrichten und am Ende alles wieder einpacken. Wie bei einem Picknick. Kein Vergleich zu ihrem derzeitigen Raum, in dem Engelhardt ein Bücherregal mit thematisch passenden Werken zum Ausleihen hat, zahlreiche Broschüren mit Therapeuten oder ähnlichem zur Verfügung stehen und eine fast heimische Atmosphäre herrscht. Da der alte Raum dauerhaft zur Verfügung steht, sind auch Einzeltreffen an schwierigen Tagen möglich. Auch das würde wegfallen. „Ein neuer Raum bedeutet auch ein anderer Anfahrtsweg, andere Parksituationen, ein anderer Wochentag und eine andere Uhrzeit. All diese Gedanken prasseln dann auf die Teilnehmer ein“, erklärt Engelhardt die Folgen. Er könne sich vorstellen, dass Männer, die noch nicht so lange dabei sind und gerade erst anfangen, sich in der Gruppe und in der Umgebung zu öffnen, nicht mehr kommen werden.
Depression: Aus der Selbsthilfegruppe entsteht ein neuer Verein in Obertshausen
Denn bei der einen Umstellung soll es bestenfalls nicht bleiben. Engelhardt würde für eine Übergangszeit einen unpersönlichen Raum für die Treffen anmieten – Hauptsache die Treffen können weiter stattfinden –, aber langfristig wünscht er sich wieder eine Bleibe, die ganz der Selbsthilfegruppe zur Verfügung steht. Deshalb steht Engelhardt mit der Stadt in Kontakt, doch es sei nicht leicht, etwas passendes zu finden.
Um sich für Fördergelder bewerben zu können, hat sich am gestrigen Freitag aufgrund von Engelhardts Initiative der Verein „Luis hilft“ gegründet. Mithilfe des Vereins soll am besten ein ganzes Haus gefunden werden, das zu einer Begegnungsstätte für Menschen mit psychischen Erkrankungen und deren Angehörige, die selbst oft Unterstützung und Austausch brauchen, werden kann. Ein großes Ziel, ist sich Engelhardt bewusst. „Der Mensch braucht Visionen und Ziele im Leben. Als meine Krankheit noch schlimmer war, hatte ich keine Visionen mehr, denn allein gesund zu werden, hat sich für mich unmöglich angefühlt.“ Als gesund bezeichnet sich Engelhardt heute nicht. Ziele verfolgt er dagegen wieder mit viel Einsatz. (Theresa Ricke)