TGO-Mitglieder erzählen von Weihnachten nach dem Krieg

Blinkende Lichterketten, überfüllte Läden und digitale Gutscheine, Paketboten im Dauerstress und Christmetten im Wald: Das ist Weihnachten 2021 in der „liebenswerten Kleinstadt“. Aber wie feierten sie in Hausen und Obertshausen nach den Kriegsjahren die Geburt Jesu Christi? Fünf Veteranen aus den Reihen der Turngemeinde erinnern sich.
Obertshausen – Es plaudern der 77-jährige Rainer Ott, Gerd Merget (78), Gerhard Gloser (80), Senior Karl Aulbach, der 87 Lenze erlebt hat, und TGO-Vorsitzender Thomas Zeiger. Der weiß noch genau, wie sie daheim die Glastür zum Wohnzimmer mit einem Betttuch verhängt haben. Dann hat Opa mit dem Porzellanglöckchen geklingelt, Oma, eine Friseurin, hatte die Haare schön und managte als Christkind mit weißem Tuch die Bescherung im Hause Zeiger.
Karl Aulbach hatte beim Christbaum-Schmücken mitangepackt. „Umso mehr Lametta, desto besser“, lautete die Parole, und dazu haben sie das silbern glitzernde Material aus dem Vorjahr eifrig gebügelt. Watte haben sie zwischen die Wachskerzen als Schnee auf die Zweige des Baums gelegt. Gerd Merget musste vorbeten und die Frage aller Fragen beantworten: „Ward ihr auch brav?“ Fest zum Heiligabend-Ritual gehörten das Vortragen des Evangeliums und der Kirchgang.
Bei Zeigers bearbeitete der Vater das Akkordeon, die Mädchen spielten Weihnachtliches auf der Blockflöte, das sie bei Franz Böhm gelernt haben. Der kleine Thomas mühte sich an der Mundharmonika. Mit den Liedern waren sie zuvor schon im Altenwohnheim aufgetreten. „Wer kein Instrument beherrschte, gab ein Gedicht zum Besten.“
Beim Klingeln, hieß es dann Geschenke. Die Mädchen bekamen immer ein Puppenkleid, die Jungs Wagen für die Fleischmann-Eisenbahn. Vater Zeiger hatte extra einen Berg aus Gips für die Anlage geformt. „Aber die wurde gleich nach dem Fest wieder eingepackt bis nächste Weihnachten“, schildert Zeiger, „weil in der Wohnung kein Platz für sie war“.
Kurz nach dem Krieg, wissen die Männer noch, haben sie ihre alten Tretroller in einer neuen Lackierung zurückbekommen. Oder ein Pferdchen mit zwei Rollen. „Es war erst Bescherung, dann gab’s Essen“, lief die Reihenfolge bei den meisten Turnern. „Ganz früher hatten wir Kartoffelsalat mit Würstchen“, bestätigen sie. In den Babbscher-Haushalten ging’s rasch bergauf, in den 50er Jahren stand Pute auf dem Tisch, „und wir haben uns mit dem Vater um die Füllung gekloppt“, verrät Zeiger. Auch Marmorkuchen war dabei, später verfügten die Haushalte über die Ausstattung für die Zubereitung von Raclette und Fondue.
„Im Krieg hatten wir weder Zucker noch Mehl und konnten in der Vorweihnachtszeit keine Plätzchen backen“, blickt Aulbach zurück. „Aber das Jakobsche Becker hatte ein ganzes Fass mit Marmelade gemacht, randvoll“. Bis die Buben damit daheim ankamen, fehlte die Hälfte. Es war die Zeit, als die schöne Bescherung für die Väter SOS hieß - Schlips, Oberhemd und Socken, lehrt die Runde. „Die haben auch sonst nichts gebraucht.“
Dem Vorsitzenden fehlt heute die Großfamilie, die Gemütlichkeit. „Viele sind abgelenkt durch die Medien oder gehen ihre eigenen Wege“. Seiner führt heute zurück zur Familie, sie werden zusammen essen, vorlesen, musizieren und viel zu erzählen haben. (Von Michael Prochnow)