Auch online gibt es Hilfe

Eine konstant hohe Nachfrage verzeichnet das Beratungszentrum Ost in Rodgau - und das schon im dritten Jahr in Folge. Trotz der Pandemie hat es keinen Rückgang der Beratungsanfragen gegeben.
Nieder-Roden - Zum Vergleich: Im Jahr 2019 waren es 461 Anfragen für eine Erstberatung, im Jahr 2020 waren es 462 und 2021 waren es 447 Erstberatungen, also ein minimaler Rückgang. Die Zahl der insgesamt bearbeiteten Fälle, also neue und laufende Beratungen, betrug im Jahr 2021 755. Bei dieser Zahl ist ein geringer Anstieg festzustellen. Zum Vergleich: 2020 waren es 734 Fälle insgesamt und 2019 623.
Das Beratungszentrum, das vom Caritasverband getragen wird, hat im vergangenen Jahr 755 Kinder und Jugendliche aus 726 Familien beraten. Bezogen auf 425 abgeschlossene Fälle wurden 604 Personen aus dem sozialen Umfeld (Eltern, Geschwister, Verwandte, Erzieherinnen, Lehrerinnen, sonstige Personen) in die Beratung einbezogen.
Bei 447 Neuaufnahmen kam es bis in 280 Fällen zu Wartezeiten zwischen bis zu 14 Tagen und vier Wochen. Bei den familiären Konflikten waren Probleme in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern der am häufigsten genannte Grund, Beratung in Anspruch zu nehmen. Am zweithäufigsten wurden Streitigkeiten getrennter Eltern bei Sorgerecht- und Umgangsregelung genannt.
Bei Ehe und Partnerschaft waren die am häufigsten genannten Anlässe für die Beratung Trennungsabsichten oder eine ambivalente Phase in der Beziehung. Eskalierendes Streitverhalten wurde am zweithäufigsten genannt.
Seit Februar 2021 bietet die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche auch Online-Beratung an. Dort können sich Klientinnen und Klienten über die Beratungsplattform der Caritas Deutschland anonym oder unter einem Pseudonym registrieren und eine Beratungsanfrage stellen. Diese wird dann von einer Fachberaterin, einem Fachberater innerhalb von 24 Stunden beantwortet. Das Angebot ist zum einen gedacht für Menschen, die während des Beratungsprozesses anonym bleiben wollen. Zum anderen ist es ein niedrigschwelliges Medium um auszuloten, ob auch eine persönliche Beratung in Frage kommen könnte.
Fünf Beraterinnen und Berater haben sich für Online-Beratungen qualifiziert. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 17 Fälle in der Online-Beratung bearbeitet (13 Fälle in der Kategorie Eltern und Familie; 4 Fälle in der Kategorie Kinder und Jugendliche). Schwerpunkte in den Beratungskontakten waren vor allem Trennungs- und Scheidungskonflikte, Umgangs- und Sorgerechtsstreitigkeiten, sowie bei den Kindern die vielfältigen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Das Thema Hochstrittigkeit nimmt insgesamt in der Beratung stetig mehr Raum ein, so auch in der Online-Beratung. Für Kinder und Jugendliche werden die Spätfolgen der Corona-Pandemie und der Einschränkungen, die diese mit sich brachte und immer noch bringt, deutlich.
Als eine Folge der lange andauernden coronabedingten Einschränkungen hatten die Kolleginnen der Kinder- und Jugendsozialarbeit an Schulen (KiJaS) eine Zunahme von selbstverletzendem Verhalten bei ihren Schülerinnen und Schülern festgestellt und auch in der Beratung von Eltern, Kindern und Jugendlichen haben die Beratenden diese Beobachtung gemacht. Ein Online-Vortrag beschäftigte sich mit den möglichen Ursachen von selbstverletzendem Verhalten, einer Begriffsbestimmung und der oft gestellten Frage warum tut sich jemand selbst weh? Am Ende werden Antworten gegeben, auf die Frage, was Jugendliche, die sich selbst verletzen, brauchen und was nicht. Wie Eltern, Freundeskreis, Beratende helfen und begleiten können.
„Mit selbstverletzendem Verhalten (SVV) beschreibt man eine Reihe von Verhaltensweisen, bei denen sich betroffene Menschen absichtlich Verletzungen oder Wunden zufügen“, erläuterte Mechthild Sckell in ihrem Online-Vortrag „Auf Messers Schneide“. Selbstverletzendes Verhalten geschieht ohne direkte Suizidabsicht, ohne Ziel, die Krankenrolle zu übernehmen.
Formen von selbstverletzendem Verhalten gehen weit über das allgemein bekannte „Ritzen“ hinaus. Es kann zu Aufschneiden, Aufkratzen oder Aufritzen der Haut an den Armen und Beinen mit spitzen und scharfen Gegenständen wie Rasierklingen, Messern, Scheren oder Scherben kommen, zu wiederholtem „Kopfschlagen”, zum Schlagen des Körpers mit Gegenständen, zum Ausreißen von Haaren (Trichotillomanie), In-die-Augen-Bohren, mit Nadeln stechen, Verbrennungen und Verbrühungen, Einnahme schädlicher Substanzen, Injektion schädlicher Substanzen, Verätzung des Körpers durch Chemikalien, das Aufsprühen von Körpersprays auf eine Stelle, bis Erfrierungen auftreten, schmerzende Nagelverletzungen und Ausreißen der Nägel.
Eine neue Form stellt das absichtliche Verschlucken von Gegenständen dar, übermäßiger Alkoholkonsum, riskantes Verhalten im Alltag oder dass man sich absichtlich in gefährliche Situationen begibt.
Zu den möglichen Ursachen: psychische Erkrankung eines Elternteils, Trennung der Eltern, Mobbing, Selbstabwertung, Hoffnungslosigkeit, Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Emotionsregulation, Fehlen funktionaler Bewältigungsstrategien und Problemlösefertigkeiten.
Oft seien Bindungstraumatisierungen oder ein anderes Kindheitstrauma Ursache. Außerdem eventuell Gewalterlebnisse oder ein chronisches Gefühl von Alleinsein.
Das Beratungszentrum besteht seit dem Jahr 2007, seit Juli 2009 hat es seinen Sitz am Puiseauxplatz in Nieder-Roden. Unter anderem gibt es folgende Angebote: Beratung für Eltern, Kinder und Jugendliche, Schuldner- und Insolvenzberatung, Suchtberatung, Ehe- Familien und Lebensberatung. Das Zentrum macht außerdem Angebote für Fachpersonal. Kontakt: Tel. 06106 66009-0. (siw)