Das Lernen endet nicht um 13:30 Uhr

Seit einem Jahr leitet Mara Einloft die Freiherr-vom-Stein-Schule in Rodgau. Jetzt wurde sie offiziell zur Schulleiterin ernannt. Im Interview spricht sie über ihre Beweggründe und über aktuelle Herausforderungen der Grundschulpädagogik.
Was ist das Besondere an der Freiherr-vom-Stein-Schule?
Alle Kinder von Jahrgangsstufe 1 bis 4 sind täglich von 8 bis 13.30 Uhr in der Schule – und die meisten auch länger. Der Begriff der Ganztagsschule ist seit vielen Jahren ein Bestandteil unserer Arbeit. Aber wir überlegen auch: Wo und wie können wir uns weiterentwickeln? An unserer Schule ist es uns besonders wichtig, Gemeinschaft zu leben und gleichzeitig das individuelle Lernen zu fördern. Wir nehmen alle Schülerinnen und Schüler so an, wie sie sind, und schauen, wie wir sie am besten fördern können. Das bedeutet, mit allen Unterschiedlichkeiten umzugehen.
In dieser Schule gibt es manches, was es anderswo nicht gibt. Ein Beispiel ist der runde Tisch im Klassenzimmer. Wozu ist er da?
Die Arbeitsplätze der Kinder befinden sich am Rand des Klassenraumes. Sie sind bewusst nicht zur Tafel gerichtet, sondern nach außen. Der runde Tisch bildet das Zentrum. Er ist Treffpunkt zum Austausch miteinander. Die Lehrerin ist dort Ansprechpartnerin, spricht mit einzelnen Kindern und auch mal mit einer kleinen Gruppe. Dadurch schafft der runde Tisch ein Stück weit Gemeinschaft, ermöglicht aber auch die Konzentration auf bestimmte Arbeiten. In der Außensitzordnung haben die Kinder an ihrem Arbeitsplatz die Möglichkeit, sich stärker zu fokussieren.
Ein zweites Beispiel: Die Flex-Klassen sind bisher einzigartig in Rodgau. Welche Vorteile bieten sie?
Wir haben dieses Modell seit über zehn Jahren und sind immer noch davon überzeugt, weil die Kinder mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schule kommen. In den Flex-Klassen können wir ihnen viel individueller gerecht werden. Das heißt: Alle Kinder werden eingeschult und benötigen dann zwei oder drei Jahre, bis sie in die dritte Klasse kommen. Manche brauchen auch nur ein Jahr. In der Flex-Klasse können wir dort ansetzen, wo das Kind steht, können es individuell fördern.
Wird die Arbeit für Lehrerinnen und Lehrer dadurch nicht besonders schwierig?
Die Arbeit im Flex ist sehr anspruchsvoll. Wir haben aber auch unglaublich tolle und engagierte Kolleginnen und Kollegen in allen Jahrgangsstufen, die dem auch gewachsen sind. Uns unterstützen auch Sozialpädagoginnen und andere Fachkräfte. Das ist anders als herkömmlicher Unterricht. Es geht nicht darum, dass alle Kinder zur gleichen Zeit das Gleiche arbeiten. Dabei schlüpfen wir in die Rolle der Lernbegleiter. Das ist einerseits sehr komplex, gibt uns andererseits aber auch Freiräume. Die Kolleginnen und Kollegen im Flex, aber auch in Jahrgangsstufe 3 und 4 wissen mit dieser Heterogenität umzugehen und bilden sich regelmäßig fort.
Wie wichtig ist individuelles Lernen für die Kinder?
Es ist sehr wichtig. Es bedeutet, miteinander und voneinander zu lernen, aber auch eigenständig zu lernen. Jedes Kind arbeitet in seinem Tempo und auch an unterschiedlichen Lerninhalten, dennoch meist ja an gleichen Lernzielen.
Digitale Angebote der Schulen sind spätestens seit der Corona-Pandemie ein großes Thema. Wie viel Digitalisierung muss sein?
Ich glaube, dass Digitalisierung auch in der Grundschule eine wichtige Rolle spielt. Die Kinder, die jetzt unsere Schule besuchen, werden später einen Beruf erlernen, den es heute vielleicht noch nicht gibt. Es ist heute einfach nicht mehr von Bedeutung, dass ein Kind mit dem Füller in Schönschrift seitenlang Texte abschreibt. Heute gibt es ganz andere Herausforderungen: kritisches Denken, Probleme lösen, Selbststeuerung . . . Natürlich müssen wir auch in der Grundschule schon den bewussten Umgang mit Medien thematisieren. Wir stehen diesem Thema von Anfang an sehr offen gegenüber und nutzen Medien bereits auf vielfältige Art und Weise.
Was sollten Kinder mitbringen, wenn sie in die Schule kommen?
Das finde ich eine schwierige Frage. Vor allem ist es wichtig, dass Kinder ein Stück weit selbstständig sind und dass ihnen diese Selbstständigkeit auch von den Eltern zugestanden wird. Dazu kommt Freude am Lernen und die Neugierde – aber das ist etwas, was Kinder automatisch mitbringen. Wichtig ist, den Kindern die Zeit zu geben, die sie brauchen.
Viele Kindertagesstätten beobachten einen steigenden Bedarf an Sprachförderung. Sehen Sie das auch in der Schule?
Ja, auf jeden Fall. Es ist nicht leicht, den unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen gerecht zu werden. Hier macht sich auch der Lehrkräftemangel bemerkbar. Es gibt verschiedene Angebote: Vorlaufkurse für Kinder im Kindergartenalter, Intensivkurse für Sprachanfänger, in denen jetzt auch viele ukrainische Kinder sind. Außerdem gibt es Fördermöglichkeiten für Kinder, die mit Deutsch als Zweitsprache aufwachsen.
Erleben Sie bei den Schulkindern noch Auswirkungen der Corona-Pandemie? Welche?
Da kann ich ganz aktuell vom Schwimmunterricht berichten. In meiner dritten Klasse habe ich 13 Nichtschwimmer. Diese hohe Zahl ist Corona geschuldet, weil die Schwimmbäder geschlossen waren und keine Schwimmkurse stattgefunden haben. Natürlich sind die Folgen auch in vielen anderen Bereichen spürbar, besonders im sozial-emotionalen Bereich. Wir hoffen, dass eine Pandemie in dieser Form nicht noch einmal auf uns zukommt.
Eltern sind entscheidend für die Bildungschancen ihrer Kinder. Was erwarten Sie von ihnen?
Das Wichtigste ist, dass Eltern und Schule zusammenarbeiten, dass es nicht ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander ist. Wir führen regelmäßige Elterngespräche und geben den Eltern eine wöchentliche Lernrückmeldung. Wir schauen gemeinsam: Was sind die Stärken des Kindes und was können wir tun, um das Kind am besten zu fördern? Es gibt immer Lernangebote, die auch zuhause stattfinden können, denn das Lernen endet natürlich nicht um 13.30 Uhr.
Welche neuen Aufgaben und Herausforderungen kommen auf die Schulen zu? Wie werden sich die Schulen in den nächsten zehn Jahren verändern?
Ich glaube, dass die Digitalisierung eine enorm große Rolle spielen wird. Dazu brauchen die Schulen endlich auch die entsprechende Hardware wie digitale Tafeln, ausreichend iPads und vieles mehr. Es wird eine große Herausforderung, dass wir als Kollegium uns dementsprechend fortbilden. Aber das wird gewiss nicht die einzige Herausforderung und Belastung sein.