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Rodgauer Kirchturmgickel wird schmerzlich vermisst

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Von: Ekkehard Wolf

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Arg mitgenommener Wetterhahn: „Der hält keine 50 Jahre mehr“, ist Schlosser Alois Sahm überzeugt.
Arg mitgenommener Wetterhahn: „Der hält keine 50 Jahre mehr“, ist Schlosser Alois Sahm überzeugt. © Wolf

„Wann kommt der Gickel wieder auf den Kirchturm?“ Das fragen sich viele Jügesheimer seit mehr als eineinhalb Jahren. Kreuz und Wetterhahn auf dem Turm der Kirche St. Nikolaus wurden nach dem verheerenden Sturm vom 18. August 2019 abgefräst. Viele Monate und etliche Spendenaktionen später zeichnet sich ab: Der Gickel ist möglicherweise das kleinste Problem.

Jügesheim - Am Morgen nach dem Sturm hatten Feuerwehrleute den Blechvogel in Schieflage und das Kreuz entfernt. Sie waren mit dem Hinweis „Gefahr im Verzug“ alarmiert worden. Seither liegt der Turmschmuck in der Metallbauwerkstatt von Alois Sahm. Aus der Nähe wirkt der Wetterhahn reichlich ramponiert. Kein Wunder: Seit Jahrzehnten war er Wind und Wetter ausgesetzt. Die Oberfläche ist angegriffen, stellenweise weist das Blech Korrosionslöcher auf. Ein fingerlanges Metallstück am Fuß ist abgebröselt. Zinkblech sei eben „nicht das beste Material“, sagt Alois Sahm. Eine Reparatur sei nicht mehr sinnvoll: „Ich habe schon angefangen, ihn nachzubauen.“ Aus gutem Kupferblech.

Sehr viel stabiler ist das Turmkreuz aus massivem Metall. „Ich nehme an, dass es schon bei der Einweihung auf dem Kirchturm gestanden hat“, sagt Sahm. Er ist überzeugt, dass das Kreuz auch weitere 150 Jahre hält.

Aber reicht eine einfache Schweißnaht, um das Kreuz wieder auf dem Kirchturm zu verankern? Das ist leichter gesagt als getan. Das Turmkreuz war nicht nur mit einem langen Stahlstab im zentralen Eichenbalken („Kaiserstiel“) verankert, sondern auch mit Metallbändern gesichert, sodass es der Kraft des Windes standhalten konnte. „Eine geniale Konstruktion“, meint Alois Sahm. Sicher gebe es nur noch wenige Spezialisten, die sich damit auskennen.

„Das Problem ist größer als auf den ersten Blick zu erkennen ist“, sagt Lothar Mark als dienstältestes Mitglied des Verwaltungsrats der katholischen Pfarrgemeinde. „Bei der Überprüfung wurde festgestellt, dass innerhalb der nächsten Jahre weitere Arbeiten am Kirchturm notwendig sind. Sie müssten mit einer Totaleinrüstung durchgeführt werden.“ Die Kosten dafür würden das Budget der Gemeinde sprengen.

„Das ist ein schwieriges Thema“, sagt auch Architekt Norbert Beck. Die Turmspitze sei provisorisch abgedichtet worden. Ein Gutachter habe leichte Schäden an der Holzkonstruktion festgestellt. In den nächsten Tagen werde sich ein Zimmermann die Situation von innen ansehen. „Wir werden auch noch einen Drohnenflug um die Kirchturmspitze machen“, kündigt Beck an. Zudem werde ein Dachdecker den Zustand des Dachs begutachten. „So eine Schiefereindeckung hält normalerweise Jahrzehnte“, sagt der Architekt; allerdings sei sie auch schon Jahrzehnte alt.

„Die durch die Prüfung ausgelöste Öffnung ist notdürftig abgedeckt, sodass keine Gefahr entstehen kann“, berichtet Lothar Mark vom Verwaltungsrat. „Zugleich ist das aber kein Zustand, der ewig hält. Die Pfarrgemeinde wird gebeten, sich in der Zwischenzeit in Geduld zu üben und im Spenden nicht nachzulassen.“ Im Bistum Mainz gebe es dringlichere Bauvorhaben und die Gebäudeversicherung des Bistums lehne eine Regulierung ab. Die Sanierung des Jügesheimer Kirchturms sei kein Pappenstiel: „Man muss damit rechnen, dass das schlimmstenfalls 100 000 Euro kostet.“

Allein schon das Baugerüst dürfte teuer werden. Ein erstes Angebot eines Gerüstbauers beläuft sich angeblich auf 80 000 Euro. Die katholische Kirche St. Nikolaus ist das höchste Gebäude Jügesheims. Ihr Turm ist 45,50 Meter hoch. Wann der Kirchturmgickel sich wieder im Wind drehen kann, ist noch offen. Für Architekt Norbert Beck ist klar, dass ein neuer Wetterhahn angefertigt werden muss. Falls das Dach nicht neu gedeckt werden müsse, könne der Vogel vielleicht per Hubsteiger montiert werden. Verwaltungsratsmitglied Lothar Mark hält eine schnelle Lösung für unwahrscheinlich: „Ein schwieriges Unterfangen. Das wird ein Jahrzehnt dauern. Damit muss man rechnen.“ Auch Pfarrer John-Peter Savarimuthu stimmt seine Gemeinde auf einen längeren Zeithorizont ein. Zum Jahreswechsel schrieb er im Gemeindebrief „Nikolausbote“: „Die Reparatur des Kirchturms verzögert sich, weil sich die Anbringung des Hahns als äußerst kompliziert und aufwendig erweist. Die Fachleute suchen noch nach Lösungsmöglichkeiten. Das Jahr 2020 lehrt auch Geduld.“

Unterschiedliche Ansichten gibt es darüber, ob es notwendig war, den Wetterhahn mit dem Trennschleifer „abzuflexen“. Manche sagen, die Feuerwehrleute hätten ihn auch abschrauben können. Allerdings kann sich das Metall durch den Sturm auch so verkantet haben, dass eine einfache Demontage nicht mehr möglich war. Das lässt sich nicht mehr mit letzter Sicherheit klären.

Gab  es Vorwürfe gegenüber der Feuerwehr? „Keiner hat bei uns einen Schaden angezeigt, weder die Kirche noch die Feuerwehr“, teilt die städtische Pressesprecherin Sabine Hooke auf Anfrage unserer Zeitung mit. Die Haftpflichtversicherung der Stadt stehe auch für Schäden ein, die bei Feuerwehreinsätzen entstünden. Allerdings müsse so ein Schaden sofort gemeldet werden.

Von Ekkehard Wolf

Am Tag nach dem verheerenden Sturm vom 18. August 2019 entfernten Einsatzkräfte der Feuerwehr Rodgau den Wetterhahn und das Kreuz von der Kirchturmspitze von St. Nikolaus. Eine Gewitter-Fallbö hatte den exponierten Turmschmuck in Schieflage gebracht.
Am Tag nach dem verheerenden Sturm vom 18. August 2019 entfernten Einsatzkräfte der Feuerwehr Rodgau den Wetterhahn und das Kreuz von der Kirchturmspitze von St. Nikolaus. Eine Gewitter-Fallbö hatte den exponierten Turmschmuck in Schieflage gebracht. © Löw

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