Der Mais ist viel vitaler, als er aussieht

Jedes Prozent Trockenheit zählt: Da Großhändler den Landwirten Trocknungskosten für den angelieferten Körnermais abziehen, steht die nahrhafte Feldfrucht dieses Jahr wieder bis zum letzten Moment und sieht inzwischen zum Erbarmen aus. Die Restfeuchte beträgt aktuell 32 bis 38 Prozent, 14 wären optimal.
Rodgau – Die einst saftigen Blätter sind verwelkt und schrumpeln abgeknickt vor sich hin. Braun statt Grün ist auf dem Maisfeld die dominante Farbe. Zum Erbarmen! Doch keine Sorge: Dass der Mais so ungesund und abgestorben aussieht, hat Methode. Landwirte wie Jürgen Klein aus Weiskirchen lassen die Feldfrucht extra lange stehen, damit sie möglichst ausgiebig trocknen kann. Das dämpft Preisabschläge beim Großhändler. Denn der muss die gelieferte Ware in stählernen Heizschlangen mit teuer erwärmter Heißluft trocknen, um sie als Futter oder für die Lebensmittelindustrie aufbereiten zu können. Diese Kosten gibt er an die Bauern weiter. Das tut der Landwirtschaft bei den explodierenden Düngemittelpreisen derzeit besonders weh.
14 Prozent Restfeuchte wären optimal. „Die erreicht man hier bei uns in Deutschland zwar nie, aber 30 Prozent schaffen wir vielleicht noch. Man versucht halt, jedes Prozent runterzukriegen“, beschreibt Klein das riskante Geduldsspiel, bei dem man den Bogen nicht überspannen darf. In der ersten oder zweiten Novemberwoche möchte er den Mais auf seinen Feldern zwischen Seligenstadt und Rodgau dann endgültig ernten.
Hat er keine Sorge, dass Pilze bis dahin das Ergebnis der ganzen Arbeit zunichtemachen könnten? Immerhin gibt es aktuell schon viel feuchten Nebel und Tau. „Zum Glück ist es jetzt kälter geworden. Pilze bilden sich gerne, wenn es feucht ist und warm. Außerdem sind die Maiskolben derzeit noch umschlossen von den Lieschblättern. Die bilden eine natürliche Schutzhülle.“
Mit dem Ertrag ist der Bauer mehr als zufrieden. Nach zwei verheerend trockenen Sommern gab es dieses Jahr endlich wieder genug Regen. Und den auch noch in den entscheidenden Wachstumsperioden. „So einen Ertrag hatte ich noch nie“, freut sich Klein. Er geht sein Handwerk systematisch an. Denn Landwirtschaft ist eine Wissenschaft. Nicht jede Maissorte eignet sich für den Rodgauer Boden. Der ist meist sandig und lässt das Wasser schnell versickern. Die Pflanzen müssen deshalb möglichst rasch Wurzelmasse bilden, um das wenige Wasser schon in einem frühen Wachstumsstadium gut aufnehmen zu können.
Um die richtige Maissorte herauszufinden, macht Klein seit inzwischen elf Jahren Tests mit verschiedenem Saatgut. Wer an der Landesstraße zwischen Seligenstadt und Dudenhofen an den Feldern vorbeifährt, der sieht im Sommer gewöhnlich die Schilder, mit denen Klein die Versuchsflächen kennzeichnet – alle bestückt mit Saatgut der Bayer-Tochterfirma Dekalb. Diesen Sommer machten allerdings Rabenkrähen einen Strich durch die Rechnung. 14 Sorten Silo- und Körnermais hatten beim Maisversuch schon leicht ausgetrieben, als sich die geschützten Vögel aus der Kolonie in den Pappeln nahe dem Toom Baumarkt bedienten. Danach blieb auf den sechs Hektar keine Zeit mehr für Experimente.
Saatgutproduzenten wie Bayer bieten ihre Produkte fortwährend zu Tests an. Bundesweit nehmen Hunderte Landwirte an Saatgutversuchen mit Dekalb-Produkten teil. Das geschieht im eigenen Interesse. Denn die Landwirtschaft und die Pflanzen sind wegen immer schärferer Auflagen gezwungen, mit immer weniger Pflanzenschutzmitteln und Dünger auszukommen. Mit dem Dünger kommt Nitrat in den Boden – und gefährdet das Grundwasser. Deshalb beschränken Düngemittelverordnungen den Nitrateintrag immer mehr. Für die Pflanzen ist das problematisch. Sie müssen mit weniger Turbo-Nährstoffen auskommen. Dazu noch der Klimawandel. Und trotzdem sollen Preis und Ertrag stimmen. Die Saatguttests dienen dazu, Lösungen zu finden.
Die richtige Maissorte für einen bestimmten Standort zu finden, ist Detektivarbeit. Sind die Blätter breit genug zur Beschattung der Pflanze? Stehen sie steil genug, damit noch ausreichend Sonnenlicht auf die Pflanze fällt? Was ist der optimale Abstand zwischen den Pflanzreihen? Wie kommt die Pflanze mit Schädlingen und Wind zurecht? Das sind Fragen und Anforderungen, denen sich das Saatgut stellen muss.
Von Bernhard Pelka

