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Die Pflege geht am Stock

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Von: Bernhard Pelka

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Von den 13 Kommunen im Landkreis Offenbach waren elf bei der Info-Veranstaltung vertreten. Hospizleiterin Claudia Bauer-Herzog (Mitte, graues Kleid) hieß die Gäste herzlich willkommen.
Von den 13 Kommunen im Landkreis Offenbach waren elf bei der Info-Veranstaltung vertreten. Hospizleiterin Claudia Bauer-Herzog (Mitte, graues Kleid) hieß die Gäste herzlich willkommen. © pelka

Die Pflege in Altenheimen, Krankenhäusern und Hospizen hängt am Tropf. Es ist mehr als fünf nach 12. Schon heute müssen Heime Wohngruppen schließen oder schlittern sogar in die Pleite, weil Pflege nicht mehr bezahlbar ist. Zum gestrigen „Tag der Pflege“ hörten Bürgermeister, ehren- und hauptamtliche Stadträte und Stadträtinnen sowie Vertreter aus Sozialämtern, wie alarmierend schlecht es um die Pflegeberufe bestellt ist.

Rodgau – Die krasse Schilderung kam aus berufenem Mund: Elke Weyand, Geschäftsführerin bei der Mission Leben, gab im Hospiz am Wasserturm einen Sachstandsbericht und formulierte Forderungen an die Politikerinnen und Politiker im Raum, die man als Multiplikatoren für die Lobbyarbeit gewinnen möchte. Das Positive: Die Teilnehmer wollen mit ihrem nächsten Treffen im Hospiz nicht ein Jahr lang bis zum „Tag der Pflege“ 2024 warten. Vielmehr wird die Mission Leben als Hospizbetreiber schon für den 8. September einladen. Dann sollen kurz vor der Landtagswahl auch Landtags- und Bundestagskandidaten für die gute Sache gewonnen werden.

Die Anregung dazu kam von Rotary-Mitglied Lothar Mark, der im Kuratorium der Hospiz Stiftung Rotary-Rodgau mit den Finanzen vertraut ist und die Spendenakquise betreut. Mark berichtete, die Finanzierungslücke werde größer und größer. Fürs laufende Jahr habe die Stiftung bereits 120 000 Euro ausgeschüttet, 200 000 müssten es sein. Zur Erhaltung des Betriebs müsse die Stiftung nun „nachbetteln“, was ihm zuwider sei. Sofern jede der 13 Kreiskommunen pro Einwohner nur einen einzige Euro gäbe, wäre das Defizit für die nächsten zwei Jahre gedeckt, rechnete Mark vor.

Die 13 Kreiskommunen hatten schon in der Entstehungsphase des 2020 eröffneten Hospizes je 20 000 Euro Steuergelder (Rödermark sogar 28 000 Euro) zugestiftet. Elf der 13 Zustifter waren bei der Veranstaltung gestern vertreten. Sie hörten von Pflegekräften Drastisches: Sie schilderten, was sie Bedrückendes erlebt haben, bevor sie im Hospiz endlich angemessene Arbeitsbedingungen vorfanden. Eine Ex-Krankenschwester erzählte, wie sehr die zunehmende Aufgabenbündelung im Krankenhaus auszehre. In der ambulanten Pflege habe man acht Minuten Zeit pro Patient – ab der Haustür. In der Geriatrie seien es zwölf Minuten morgens zum Fertigmachen. Sie habe den Stress und das Leid der Patienten nicht mehr ertragen, sagte eine Kollegin. „Menschen sterben, Diagnosen werden vertauscht, Patienten verstehen Pfleger und Ärzte nicht, weil sie kaum Deutsch sprechen. Gnade dem Patienten, der keine Angehörigen hat, die sich kümmern. Ich will in kein deutsches Krankenhaus mehr.“

Elke Weyand berichtete, von 18 Einrichtungen der Mission Leben seinen lediglich drei im Plus. Die Mission habe 8,1 Millionen Euro Mehrkosten für Leasingpersonal ausgeben müssen.

In Coronazeiten seien Personalleasingfirmen wie Pilze aus dem Boden geschossen, die weniger Auflagen als herkömmliche Träger erfüllen müssten, aber netto so viel bezahlten, wie Pflegekräfte sonst brutto verdienen. Dieser verzerrte Wettbewerb führe zu der absurden Situation, dass etablierte Einrichtungen das Personal verlieren und dann dieselben Leute für das Zwei- bis Dreifache (inklusive Zulagen) zurückmieten müssen. Eine einzige Nachtschicht koste dann bis zu 1300 Euro. „Das schreit nach Regulierung“, forderte Weyand. Leihfirmen führten gezielte Abwerbekampagnen. Die Folge: Schon gebe es Insolvenzen. Erst kürzlich habe eine große Kette 100 Häuser geschlossen. Andere reduzierten die Plätze und machten Wohnbereiche dicht. Landrat Oliver Quilling hatte das Thema ebenfalls gestreift und von „Kannibalisierungseffekten“ gesprochen.

Damit Pflege für Träger und für Sozialämter wie Angehörige bezahlbar bleibe, brauche es eine Finanz- und Strukturreform“, forderte Weyand. Schon heute rutsche jeder zweite Bewohner einer Altenpflegeeinrichtung mit der Zeit in die Sozialhilfe. Unverzichtbar seien der Ausbau von wohnortnahen Pflegestützpunkten.

Es brauche niedrigschwellige Qualifizierungsprogramme für ungelernte Pflegehilfskräfte. Ein Unding sei, dass jedes Bundesland seine eigene Prüfungsverordnung für Pflegehelfer habe. „Auch das schreit nach Regulierung.“ Die Anwerbung und Beschäftigung von Kräften aus dem Ausland bedürfe der Entbürokratisierung. Und noch ein Problem: Nicht alle Einrichtungen der Mission Leben sind so modern und energieeffizient wie das Hospiz. Das Investitionsrisiko auf dem Weg zur Klimaneutralität dürfe nicht bei Pflegeeinrichtungen alleine verbleiben.   (bp)

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