Ein Keller voller Narren

Die Kellerbar der ehemaligen TGS Jügesheim war in der Fastnacht für Tuchfühlung und schlechte Luft bekannt. Vor mehr als zehn Jahren wurde sie von der Bauaufsicht geschlossen: Es gab nur einen Fluchtweg.
Jügesheim - Vom Schlaufentraining in der Turnhalle Ostring sind es nur ein paar Schritte in die Vergangenheit. Hinter einer unscheinbaren Tür an der linken Bühnenseite führen ein paar Stufen abwärts. Dort tobte früher der Bär. In den Pausen der Fastnachtssitzungen und danach drängten sich unzählige Narren auf 22 Quadratmetern. Meist feierten sie bis in die frühen Morgenstunden.
Die hölzerne Theke steht immer noch. Zapfhähne, Gläserspülbecken, Kühlschränke. Darüber: Bier-Reklame für Binding und Kutscher-Alt. Die Drahtkörbe („Henkel“) für jeweils zehn Gläser sind inzwischen leicht angerostet.
Die Durchreiche erlaubt einen flüchtigen Blick in die Küche. Vier bis sechs Leute arbeiteten in dem kleinen, quadratischen Raum. Auf dem Herd standen zwei große Töpfe mit Würstchen. Auf den Arbeitsflächen wurden Fischbrötchen oder Wurst- und Käsestangen belegt. „Und die Spülmaschine waren wir auch“, erzählt Helga Löw, eine der langjährigen Helferinnen.
Die Dekoration der Wurst- und Käsebrötchen war eine Wissenschaft für sich. Auf den Millimeter genau seien die Tomaten und Gurken geschnitten worden, erinnert sich Ernst Gröpl. Und wehe, wenn einer eine Scheibe naschte: Die Mengen waren so genau kalkuliert, dass das Stückchen Gurke am Ende gefehlt hätte.
Die Käsewürfel werden übrigens heute noch nach denselben Mengen kalkuliert wie damals: 150 Gramm Käse, 50 Gramm Trauben, ein paar Salzbrezelchen und ein Zahnstocher zum Aufspießen. Nach wie vor werden die Käsewürfel nicht fertig gekauft, sondern selbst geschnitten. So schmecken sie frischer – und außerdem ist der Käse dann im Einkauf billiger.
Den Raum vor der Theke kann man mit wenigen Schritten abmessen. Zur Fastnacht war er oft so voll, dass man nur mit Geduld oder Glück einen Stehplatz fand. Wie viel Leute sich auf den 22 Quadratmetern drängten, lässt sich nur schwer schätzen. „Vielleicht 200“, meint eine langjährige Helferin. „Damals waren die Leute noch schlanker“, sagt eine andere. Helga Löw: „Und wenn man ein Bier wollte, hat man sich nach vorne geschafft oder jemanden gefragt: Kannst du mir ein Bier bestellen?“ Oft wurde der Einfachheit halber gleich ein Henkel bestellt und nach hinten durchgereicht.
Die Kellerbar war nicht nur für ihre Enge berühmt oder berüchtigt, sondern auch für die schlechte Luft. „Das Rauchen war das Schlimmste. Da haben auch die Nichtraucher mitgeraucht“, erzählt Ernst Gröpl. Der Ventilator in der Außenwand war nur bedingt hilfreich: Mehr als einmal wurde er mit einer Holzklappe verschlossen, damit keine kalte Luft hereinkam.
Die Arbeitsschichten erforderten viel Durchhaltevermögen: morgens vier Stunden zur Vorbereitung und dann von 17.30 Uhr bis zum nächsten Morgen. Regelmäßig kam es vor, dass Fastnachter in der Kellerbar versackten. „Damals gab’s noch die Hütchen. Da ist guter Umsatz gemacht worden“, weiß Karl-Heinz Matzen. Doch irgendwann nach 4 Uhr früh wollten die Ehrenamtlichen auch Feierabend machen. „Wenn die Leute nicht heimgehen wollten, haben wir das Licht ausgeschaltet“, erinnert sich einer. „Oder wir haben ihnen eine Flasche Sekt gegeben und gesagt: Trinkt sie draußen, damit wir hier zumachen können.“
In manchen Jahren soll sogar so lange gezecht worden sein, bis die Kirchenglocken zum Frühgottesdienst läuteten. „Der Wendelin ruft“, hieß es dann in Anspielung auf Pfarrer Wendelin Meissner. Und: „Wer nimmt die Wäsche mit?“ Denn jemand musste ja die vielen Geschirrtücher und Schürzen bis zur nächsten Sitzung wieder sauber und gebügelt mitbringen.
Vom Heiratsantrag bis zur Schlägerei haben die Aktiven des Wirtschaftsausschusses viel miterlebt. Sogar ein Prinzenpaar soll in der Kellerbar schon gekürt worden sein. Einmal musste der Rettungsdienst gerufen werden, weil ein Gast mit dem Fahrrad die Kellertreppe hinabfuhr und gegen die Theke knallte.
Zeitweise war unter den Narren das sogenannte Tischeheben üblich. Da wurden die schweren Stehtische mitsamt den Gläsern einige Zentimeter hochgehoben. Auch dieser Brauch mag dazu beigetragen haben, dass der Keller am Ende der Nacht gründlich geschrubbt werden musste. „Der Boden hat so geklebt, da hätte sich die Letzte Generation festkleben können und hätte keinen Kleber gebraucht“, erzählt eine Helferin.
Lebhaft in Erinnerung ist auch ein Stromausfall während einer Fastnachtssitzung: Der ganze Ostring war ohne Strom, weil der Sturm einen Baum auf die Freileitung geworfen hatte. Daraufhin holten TGS-Mitglieder von Zuhause Friedhofskerzen und stellten sie auf die Tische. Die Guggemusik „Glongi-Gilde“ aus Villingen, die an dem Abend zu Gast war, überbrückte die Wartezeit im Dunkeln. „Die konnten auch ohne Noten spielen“, lacht JSK-Vorsitzender Lothar Mark. Er macht dazu ein Gesicht, als wolle er sagen: Das hat man auch gehört.
Weil es so eng war, ging der Verein irgendwann dazu über, zusätzlich einen Getränketisch im Saal aufzustellen. „In der Kellerbar war es so voll, dass es nicht mehr möglich war, alle zu bedienen“, erinnert sich Lothar Mark. Hinter der Bühne wurde zusätzlich eine Sektbar aufgebaut. Zeitweise gab es auch die sogenannte „Haifischbar“ auf der Empore.
Seit mehr als einem Jahrzehnt ist die Kellerbar als Versammlungsstätte geschlossen. Der Grund lag im Brandschutz, genauer gesagt in den fehlenden Fluchtwegen. Die schmale Treppe in den Saal und die noch schmalere Treppe zur Bühne reichten nicht aus. Der einzige Weg ins Freie führte hinter die Theke und um mehrere Ecken mit Stufen und anderen Stolperfallen. Wirtschaftsausschuss-Senior Dieter Rücker sagt: „Wir können froh sein, dass niemals etwas passiert ist.“
Serie „Verborgene Orte“
In dieser Serie blicken wir hinter die Kulissen und stellen Orte vor, die normalerweise kaum jemand betritt. Anregungen nimmt die Redaktion unter rodgau@op-online.de entgegen. In der nächsten Folge geht es um das Magazin des Heimat- und Geschichtsvereins Weiskirchen. (Ekkehard Wolf)