„Ein Tier darf sich auf keinen Fall wehtun“

„Menschen, Tiere, Sensationen“ versprechen Zirkusbetriebe seit Generationen. Der „Circus Barus“ macht da keine Ausnahme. Er gastiert für zehn Tage auf den Wiesen am Badesee in Rodgau. Dieses Gastspiel wurde erst durch einen Rechtsstreit möglich.
Rodgau - Als wohl erste Stadt in Deutschland hatte Rodgau im Dezember 2021 beschlossen, für Veranstalter mit Tieren kein städtisches Grundstück mehr zur Verfügung zu stellen. Das Verwaltungsgericht Darmstadt hatte diesen Beschluss in einem Eilverfahren gekippt. Zirkusdirektor Marco Frank spricht im Interview darüber, wie er mit Tieren umgeht und was Tiere für ihn bedeuten.
Im Frühjahr haben Sie vor dem Verwaltungsgericht gegen die Stadt Rodgau gewonnen. Mit welchen Gefühlen kommen Sie jetzt nach Rodgau?
Wir kommen mit einem guten Gefühl. Über das Urteil haben wir uns gefreut, weil wir ja auch viele Fans hier haben. Egal ob wir mit dem Weihnachtszirkus in Hanau sind oder ob wir in Dietzenbach sind, es kommen viele Rodgauer. Es wird ja niemand gezwungen, uns zu besuchen. Aber wir wollen auch diejenigen, die uns nicht unterstützen wollen, zur kostenlosen Tierschau einladen. Dann können sie sich selbst ein Bild machen. Am Freitag ab 10 Uhr ist bei uns das große Kamel- und Affenfrühstück.
Erwarten Sie Proteste von Tierschützern?
Nein. Und wenn sich doch Menschen mit ihren Plakaten hinstellen möchten, stört uns das nicht. Nur weil sie eine andere Meinung haben, sind sie ja nicht unsere Feinde.
Warum haben Sie überhaupt gegen die Stadt geklagt? Sie hätten doch einfach darauf verzichten können, hier aufzutreten.
Wir hätten auch einfach auf einen privaten Platz gehen können. Es gibt genügend Landwirte, die uns unterstützen. Aber das ist nicht das Problem. Es hat uns richtig wehgetan, als im Fernsehen über das Tierzirkusverbot in Rodgau berichtet wurde. Wir sind ja schon seit 15 Jahren hier in der Nähe unterwegs und haben uns einen guten Namen aufgebaut. Außerdem hatten wir Sorge, dass andere Gemeinden auch so ein Verbot beschließen. Das gäbe ja eine Kettenreaktion. Die Stadt Rodgau war immer nett zu uns. Das war in diesem Jahr genauso, als wir angerufen haben, dass wir anreisen, damit das Tor aufgemacht wird und der Strom- und Wasseranschluss bereitgestellt wird.
Wie geht es Ihnen eigentlich nach der Zwangspause durch Corona?
In diesem Jahr haben wir viel mehr verdient als in den anderen Jahren. Vielleicht hatte das Publikum Nachholbedarf. Während Corona hatten wir eine schwere Zeit. Wenn uns die Stadt Offenbach nicht kostenlos einen Platz zur Verfügung gestellt hätte, gäbe uns unseren Zirkus nicht mehr. Viele Leute haben uns auch mit Futterspenden unterstützt. Nur die Tierschutzorganisationen wie Peta waren nicht da, als es uns so schlecht ging.
Warum zeigen Sie überhaupt Tierdressuren im Zirkus?
Ich bin damit groß geworden. Der klassische Zirkus zeigt Menschen, Tiere, Sensationen. Wenn ein Zirkus keine Tiere mehr hat, ist er ein Varieté. Das sieht man zum Beispiel bei Roncalli: Der nennt sich Zirkusvarieté. Wenn bei uns die exotische Karawane in die Manege kommt, geht ein Aah und Ooh durch das Zelt. Das gehört dazu. Andere Sachen sind aber nicht mehr zeitgemäß, zum Beispiel wenn Bären Schlittschuh laufen müssen.
Welche Tierarten haben Sie dabei?
Wir haben Equiden, das ist ein Begriff für Pferde, Esel und Ponys. Zebras würden auch dazu gehören, die haben wir aber nicht. Wir haben edle Rassepferde, Ponys, Ziegen, Hunde, Steppenkamele, afghanische Dromedare und auch Affen. Wir sind der einzige Zirkus in Deutschland, der überhaupt noch Affen vorstellt. Die Affen sind aber nur in der Tierschau, sie sind nicht dressiert. In unserem Exotenzug sind Kamele, Dromedare und Lamas.
Wie kann man Tieren eigentlich beibringen, bestimmte Kunststücke vorzuführen?
Bevor ein Tier in die Dressur geht, wird es erst beobachtet. Nur ein kleines Beispiel: Wenn ich einem Pferd beibringen möchte, sich auf Kommando hinzulegen, dann achte ich darauf, auf welcher Flanke es seine Liegeflecke hat. Es ist gewohnt, sich auf diese Seite zu legen. Eigentlich ist das einleuchtend und simpel, man muss nur daran denken. Ein anderes Beispiel: Wenn ein Tier auf ein Postament aufsteigen soll, übt man zuerst mit einem niedrigen Postament oder einem Teppich, der so ähnlich aussieht. Dann stelle ich das Postament in das Gehege und hänge das Futter etwas höher, sodass das Tier auf das Postament steigen muss, um an sein Futter zu kommen. Dann kennt es den Weg schon. Ein Tier darf sich auf keinen Fall wehtun oder verletzen, wenn es ein Kunststück lernt.
Bedeutet die Manege denn nicht einen besonders großen Stress? Was tun Sie dagegen?
Da muss man die Tiere beobachten. Einen Hund, der seine Rute einzieht, zeigen wir nicht in der Manege. Auch wenn ein Tier einen Trick gelernt hat, heißt das noch nicht, dass es ihn auch vor Publikum im Rampenlicht mit Musik zeigen kann. Bei den Proben läuft die Musik anfangs leise und wird erst nach und nach aufgedreht, damit sich die Tiere daran gewöhnen. Eigentlich soll die Manege etwas Schönes sein. Die Tiere sollen sich dort wohlfühlen. Deshalb werden sie in der Manege auch gefüttert. Man muss Tieren immer die Zeit geben, die Eindrücke kennenzulernen und sich daran zu gewöhnen. Viele Zuschauer wissen gar nicht, wie viel Arbeit dahintersteckt.
Wie sorgen Sie für eine artgerechte Tierhaltung?
Wir halten uns an die Richtlinien, wir werden ja auch vom Veterinäramt geprüft. Am Badesee ist ein großes Gelände, da können wir die Koppeln schön groß machen. Wenn ein Gelände zu klein ist, fahren wir es nicht an. Bei uns gibt es keine Missstände. Die Tiere gehören zur Familie. Wir lieben unsere Tiere.
Welche Tiere vertragen die Fahrt zum nächsten Gastspielort am besten?
Das ist bei allen gleich. Wir reisen ja alle ein, zwei Wochen. Das ist eine Sache der Übung. Wenn wir ein Tier kaufen und es zum ersten Mal in den Transporter muss, ist das natürlich Stress. Deshalb muss man das Rein- und Rauslaufen trainieren. Eine Vertrauensperson geht mit hinein, um das Tier zu beruhigen, und dann werden ein paar Runden auf dem Gelände gedreht. Wenn sie während des Transports ans Futter gehen, merken wir, sie nehmen es gut auf. Denn wenn ein Tier nervös ist, frisst es nicht.
Stellen Sie sich bitte einmal vor, dass Tierdarbietungen im Zirkus gesetzlich verboten wären. Was würden Sie dann tun?
Ich glaube nicht, dass das passiert. Dann müsste man ja auch Reitunterricht verbieten. Aber wenn ich versuche, es mir vorzustellen . . . Ich muss ja von irgendwas leben. Aber Spaß machen würde es nicht. Dann würde ich mich auch nicht mehr Zirkus nennen. Vielleicht würde ich sesshaft werden, einen Bauernhof kaufen und einen kleinen Tierpark eröffnen. Ohne Tiere würde ich mich jedenfalls nie wohlfühlen.
