Eisenbahnkomödie mit Rodgauer Lokalkolorit

Endlich wieder auf der Bühne: Die Laienspielgruppe Nieder-Roden begeistert ihr Theaterpublikum mit einem Eisenbahnstück voller Lokalkolorit.
Nieder-Roden – Schön, wenn die Bahn im Ort hält. Und noch schöner, wenn sie auch weiterfährt! So etwas kennen Rodgauer Nutzer und Freundinnen der S-Bahn nur zu gut. Allein von der Thematik weckte die erste Produktion nach der Corona-Zwangspause unangenehme Erinnerungen. Zweimal seufzte die Laienspielgruppe Nieder-Roden am Wochenende: „Es fährt kein Zug nach Irgendwo.“
Und auch sonst nirgendwohin, denn die gesamte Komödie aus der Feder von Winnie Abel spielt auf einem etwas heruntergekommenen Kleinstadtbahnhof. Kein Handyempfang, kein Taxi und keine Aussicht auf Weiterfahrt– so trostlos ist die Lage an den Rodgauer Stationen natürlich nicht. Doch die illustre Gesellschaft auf der Bürgerhaus-Bühne hat es in die Pampa des Personennahverkehrs verschlagen. Und unter den gestrandeten Fahrgästen soll sich ein Psychopath befinden.
Der greise Polizeiwachtmeister soll jedenfalls jemanden mit orangefarbener Kleidung ins Präsidium nach Frankfurt bringen. Vielleicht dient so ein Peterwagen als gefragte Mitfahrgelegenheit? Die gehetzte Geschäftsfrau und der eigenwillige Verschwörungstheoretiker stöbern in den unbeaufsichtigten Koffern der Kegelschwestern und finden, was sie suchen.
Mit einem Halstuch in der gewünschten Farbe und gruseligen Geräuschen wilder Tiere mimt die Dame von Welt also wilde Tiere. Fauchen für Frankfurt geht aber nicht nur für die vielseitige Mimin schief. Auch die potenziellen Begleiter der „Gesuchten“ müssen in der Wartehalle verharren, die Polizei darf schließlich keine Fahrdienste übernehmen. Obendrein taucht da die „echte“ Psychopathin aus dem Nichts auf und klammert sich aus Angst vor Monstern an einen Gummibaum und ans Bein des Beamten.
„Die S 1 in Richtung Wiesbaden verspätet sich auf unbestimmte Zeit“, tönt es wie auf dem Bahnsteig aus billigen Boxen. Überraschend geht dann doch was, alle verschwinden gen Bahnsteig – um nach wenigen Augenblicken mit Handgepäck wieder in der Wartehalle zu erscheinen: „Der Zug fährt wegen einer technischen Störung nur bis Dudenhofen!“
Die engagierten Laienspieler beschränken sich nicht auf die Textbücher. Immer wieder bereichern sie die Komödie um Lokalkolorit in treffsicheren Kalauern. Oder um feinen Wortwitz und freches Sprachspiel. „Delirium, delarium, die ist voll wie ein Aquarium“, lästert der Uniformierte über die trinkfreudige Keglerin mit der Bierflasche. Die Kegelclubs, die da über einen Kamm geschoren werden, mögen die Vorurteile verzeihen.
Da zählen die gelallte Erkenntnis „Das Leben ist viel zu schlecht für kurzen Wein“ und die Telefon-Diät: „Wenn’s klingelt, nimmste ab.“ Gute Laune entlockt dem Publikum auch die Tatsache, dass die meisten Figuren den Nierräirer Dialekt perfekt beherrschen. Logisch, denn im Vergleich zu den Tournee-Theatern mit den eingeflogenen Promi-Namen stehen im „Berjerhaus“ einheimische Größen im Rampenlicht. Auch dieser Umstand trägt wesentlich zum Unterhaltungswert des Bahnhof-Abenteuers bei.
Das Ensemble hat jedoch mehr zu bieten. Die neun Darsteller um Regisseur Benjamin Mulligan-Kraft zeichnen konsequent starke, klar definierte Charaktere, was viel Erfahrung und Talent voraussetzt. Ein Glücksfall – oder es sind Fleiß und Offenheit, die mehrere Generationen und viel Freude am gemeinsamen Steckenpferd vereinen.
Zum Finale lernt die Business-Frau vom Stationsclochard, dass Zeit und Geld nicht alles sind. Sie kündigt ihren Job, als das Handy wieder Empfang hat. (Michael Prochnow)

