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Geschenk mit Geschichte

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Von: Ekkehard Wolf

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Wertvolles Geburtstagsgeschenk für ein kleines Mädchen: Ein Gefangener des Lagers Rollwald malte das Blumenstillleben in Öl auf Holz.
Wertvolles Geburtstagsgeschenk für ein kleines Mädchen: Ein Gefangener des Lagers Rollwald malte das Blumenstillleben in Öl auf Holz. © Wolf, Ekkehard

IM MUSEUM Ölgemälde eines Gefangenen

Nieder-Roden – In der „Gut Stubb“ des Heimatmuseums Nieder-Roden hängt ein kleines Ölgemälde, das einen Blumenstrauß in einem Krug zeigt. Es ist mehr als Dekoration. Dahinter verbirgt sich ein Stück deutsche Geschichte: Ein Insasse des Gefangenenlagers Rollwald schenkte das Bild 1941 einem kleinen Mädchen zum achten Geburtstag.

Für die kleine Elfriede Wagner war das Bild ein wertvolles Geschenk. Wer besaß damals denn schon ein echtes Ölgemälde? Zeitlebens hielt sie das kleine Kunstwerk in Ehren. Vor etlichen Jahren schenkte sie es dem Heimatmuseum, als der Arbeitskreis für Heimatkunde eine Rollwald-Ausstellung zeigte.

Von 1941 bis 1945 lebte die Familie Wagner in Rollwald in einem der sogenannten Beamtenhäuser. Der Vater, ein gelernter Bäcker, war in der Geräte- und Materialausgabe beschäftigt. Seine Bäckerei in Nieder-Roden war geschlossen worden, nachdem er sich weigerte, in die Partei einzutreten.

Die Beamtenhäuser standen außerhalb des eingezäunten Straflagers, aber nicht weit davon entfernt. Die großen Wachtürme erschienen den Kindern riesig. Die Wagners wohnten im ersten Haus neben einer Schlosserei und dem Betriebshof. In einer Baracke befand sich die Materialausgabe.

Dort arbeitete auch ein Häftling aus Österreich mit, der sich als Bibelforscher vorstellte. Vielleicht war er einer der Zeugen Jehovas, die in Rollwald interniert waren. Auch er musste Zwangsarbeit leisten, bekam kaum zu essen und musste mit 100 anderen in einer zugigen Holzbaracke schlafen. Dennoch hatte er es wohl etwas leichter als seine Mitgefangenen, die morgens in langen Kolonnen loszogen, um die Rodau zu begradigen, Schienen zu verlegen und andere schwere Arbeiten zu erledigen.

Die kleine Elfriede besuchte nach der Schule oft ihren Vater am Arbeitsplatz. Ab und zu durfte sie sogar an seinem Schreibtisch sitzen. Und sie bekam manches mit, was die Erwachsenen redeten – zum Beispiel, dass die Gefangenen abends bei der Rückkehr ins Lager von den Wachen von Kopf bis Fuß durchsucht wurden.

Außerhalb des umzäunten Geländes, in der Materialausgabe oder den Werkstätten, ging es offenbar nicht ganz so streng zu. Dennoch war es sicher nicht ungefährlich, dass ein talentierter Häftling der Malerei nachgehen konnte. Vater Wagner besorgte die Ölfarbe, als Malgrund dienten dünne Holzplatten.

Als Dank erhielt die Familie vier dieser Gemälde mit Blumen- und Gebirgsmotiven. Alle haben die Kriegs- und Nachkriegszeit überdauert: erst in Nieder-Roden, später in Berlin und Urberach.

Anfang 2021 ergab sich die Gelegenheit, mit Elfriede Rebmann über ihre Kindheit in Rollwald zu sprechen – über den Schulweg durch Schützengräben und über die Eltern, die heimlich verbotene Radiosender hörten.

Ein einschneidendes Ereignis war die Befreiung des Lagers Rollwald im März 1945: „Als die Amerikaner gekommen sind, haben wir Angst gehabt, weil ein Nachbar nicht die weiße Flagge hissen wollte. Drüben im Wald hat alles voller Geschütze gestanden, wir haben die Rohre gesehen.“

Wenig später brachte die US-Militärregierung ihre Kriegsgefangenen in den Lagerbaracken unter. Die Bewohner der Beamtenhäuser wurden rausgeworfen. „Mit unseren Möbeln haben sie Feuer gemacht“.

Noch kurz vor der Befreiung hatten die Nazi-Behörden viele Gefangene aus Rollwald in andere Lager verlegt. Einige warfen noch Zettelchen vom Lastwagen herab: „Informiert unsere Angehörigen.“

Was aus dem Bibelforscher aus Österreich wurde, erfuhr Elfriede Rebmann nie.

Festtagsszene in der „Gut Stubb“ des Heimatmuseums Nieder-Roden: Der Esstisch ist mit dem guten Porzellan und Silberbesteck gedeckt. Links neben der Anrichte hängt das kleine Ölgemälde aus dem Jahr 1941.
Festtagsszene in der „Gut Stubb“ des Heimatmuseums Nieder-Roden: Der Esstisch ist mit dem guten Porzellan und Silberbesteck gedeckt. Links neben der Anrichte hängt das kleine Ölgemälde aus dem Jahr 1941. © Wolf, Ekkehard

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