Geschichte auf zwei Rädern

Rodgau – Harald Weber hat sich einen Traum auf zwei Rädern erfüllt. Der enthusiastische Sammler von zwei- und vierrädrigen Oldtimern, von alten Kettensägen und teils monströsen Motoren aus der Landwirtschaft und der industriellen Produktion, konnte nach jahrelanger Suche eins der seltenen Motorräder der Firma „Frischauf“ aus Offenbacher Produktion erwerben.
Ende 1929 bis 1933 verließen drei Baureihen das Werk an der Sprendlinger Landstraße, (heute Autohaus und Postverteilzentrum): Motorräder mit rund 75, 200 und 500 Kubikzentimetern Hubraum – von denen ein paar wenige auch erst 1934 zugelassen wurden.
Eins davon wurde 1933 im letzten Produktionsjahr an einen Lokführer nach Nordhausen in Thüringen ausgeliefert. In den 70er Jahren verkaufte der Erstbesitzer das gute Stück an einen befreundeten Lokführer in Wismar. Von ihm erwarb Harald Weber die mustergültig restaurierte Rarität kurz vor Weihnachten. „Der Mann ist damit bei Oldtimerveranstaltungen gefahren. Entsprechend gut in Schuss ist das Motorrad“, freut sich der Maschinenbauingenieur über den geglückten Kauf.
Den früheren Handelsvertreter für Sägeanlagen kennen Kunden aus dem Rodgau eher aus seinem Nebenjob: Bis vor wenigen Jahren betrieb Harald Weber als zweites berufliches Standbein in Jügesheim eine Stihl- Gebietsvertretung mit Verkaufs- und Servicestation.

Die frühere Werkstatt und das Büro gleichen einem Museum für Maschinen. 300 Sägen aus den Baujahren 1920 bis 1973, Motoren ab 1902, historische Motorräder und Schmuckstücke auf vier Rädern, darunter Kabinenroller, füllen die Hallen – alles dekorativ und geschmackvoll präsentiert.
Seine Sammelleidenschaft führte den Liebhaber alter Technik schon nach Ungarn, Frankreich, England und Tschechien. Er durchforstet auf der detektivischen Spurensuche in Fachmagazinen und im Internet Verkaufsanzeigen. Aber auch sein Netz an guten Kontakten ist mit den Jahren recht groß und hilfreich geworden. Letzten Endes ist es aber oft Kommissar Zufall oder eben ein guter Tipp, der beim Auffinden eines seltenen Scheunenfundes zur Seite steht.
Der überwiegende Teil der Sammlerstücke kommt aus Deutschland – meist aus den neuen Bundesländern. „Dort wurde mehr repariert und erhalten als hier, weil es Beschaffungsprobleme gab. Entsprechend groß ist der Fundus an alten Motoren“, erzählt der 63-jährige Ex-Motorradrennfahrer.

Nach der „Frischauf“-Maschine hat er Jahrzehnte lang gesucht. Besonders Interesse hatte er daran, weil sein Opa Franz Weber, der in der Vordergasse in Jügesheim wohnte, im „Frischauf“-Werk in Offenbach beruflich tätig war. Dort waren seine Fähigkeiten – wie in anderen Offenbacher Betrieben auch – sehr gefragt. Der begnadete Werkzeugmacher war in der Lage, aufwendige Biegearbeiten an Lenkern und Rahmen fehlerfrei abzuliefern. „Ich hab’ schon immer nach ,Frischauf“-Modellen Ausschau gehalten. Jetzt hatte ich die Chance, eins zu kaufen. Mir war sofort klar: Das muss zurück in den Landkreis Offenbach.“

Die 1910 gegründeten Fahrradwerke „Frischauf“ produzierten ursprünglich Fahrräder. In der Spitze waren dort mehr als 1 000 Mitarbeiter beschäftigt. Ab Ende 1929 bot „Frischauf“ auch Motorräder an. Rahmen, Gabel, Tank, Kotflügel, Lenker und Ständer waren Weber zufolge Eigenproduktionen, Der Rest wurde dazugekauft und dann montiert. Nachdem die Nazis die Firma 1933 wegen ihres genossenschaftlichen Ursprungs im 1896 in Offenbach gegründeten „Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität“ gewaltsam enteignet hatten, übernahm der Volksstaat Hessen die Regie, danach ein Privatmann und zuletzt die REX-Maschinenbaugesellschaft. Wie viele „Frischauf“-Maschinen in Offenbach auf die Räder gestellt wurden, ist nicht ganz klar. Experten wie Harald Weber meinen, es seien höchstens 300 gewesen. Andere gehen von über 1 000 aus. Wie auch immer: In der Geschichte der „Frischauf“-Werke war die Motorradproduktion unfreiwillig nur ein Zwischenspiel.