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Rodgau: „Hätte ich Widerstand gewagt?“

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Drei Masken hat der Bildhauer Wolf Münninghoff auf dem Gelände der Gedenkstätte des Lagers Rollwald enthüllt.
Drei Masken hat der Bildhauer Wolf Münninghoff auf dem Gelände der Gedenkstätte des Lagers Rollwald enthüllt. © Ziesecke

Informationen über die Haftbedingungen im Lager Rollwald im Süden von Rodgau erklären schon lange die unmenschlichen Zustände dort. Seit Samstag fordert auch Kunst die Besucher zum Nachdenken auf.

Rollwald – Wir sollen unsere persönlichen Luxusproblemchen einmal von anderer Warte sehen: „Willkommen hier an der Gedenkstätte im ehemaligen Lager Rollwald bei diesem hässlichen nassen Wetter. Aber wir können danach wieder in unsere warmen Wohnungen gehen. Im Gegensatz zu den Häftlingen damals oder den Menschen in der Ukraine heute.“ Mit klaren Worten eröffnete Dr. Rudolf Ostermann von munaVeRo, dem Verein für multinationale Verständigung Rodgau, die Gedenkfeier zum 78. Jahrestag der Befreiung des Lagers.

Neue Sichtweisen möchten die drei Masken ermöglichen, die Wolf Münninghoff für die Gedenkstätte geschaffen hat: drei Gesichter in der Höhe eines menschlichen Kopfes, auf Stahlsockeln stehend, von außen in ihrer groben Darstellung aus Odenwälder Sandstein zu betrachten, aber auch von hinten mit den eigenen Augen zur Betrachtung bereit.

Der theoretischen Informationen sind es inzwischen genug an der Gedenkstätte für die Brutalitäten und die Härte, welche die Häftlinge im Strafgefangenenlager der Nationalsozialisten erdulden mussten. Nun gilt es für die Besucher, sich selbst zu hinterfragen: „Wie hätte ich mich verhalten?“ Die Sicht auf jene Masken und aus ihnen heraus auf den Gedenkstein soll Gedanken in Bewegung bringen.

Hinterfragt werden soll die Täter- und Opferrolle, die im Strafgefangenenlager ohnehin einen gänzlich anderen Stellenwert hatte als in einem Konzentrationslager, dessen Ziel die massenhafte Vernichtung der dorthin Deportierten war. Eine Informationstafel soll demnächst die Hintergründe der Skulpturen erläutern.

Angeregt bereits vor gut sechs Jahren, im November 2017 von der Stadtverordnetenversammlung anlässlich der Neugestaltung des Lagerfriedhofs beschlossen, hatte Peter Kämmerling den freischaffenden Bildhauer Münninghoff nach Rodgau geholt. Die Masken sind das Ergebnis vieler seiner Überlegungen, erläutert Wolf Münninghoff, der es „als große Ehre betrachtet, die Skulpturen für diesen bedeutenden Platz schaffen zu können“.

Die Maske sind für ihn Gebrauchsgegenstand und Symbol zugleich: „Ich kann sie benutzen, ich kann sie drehen, ich kann durchgucken, ich kann mich in eine andere Rolle versenken.“ Und der Betrachter kann aus einer anderen Identität als der eigenen heraus in die Frage versinken: „Wie hätte ich damals reagiert? Wie hätte ich mich verhalten?“

Finanziell haben Spenden schon zwei der drei Masken abgedeckt. Der munaVeRo-Vorstand hat beschlossen, den Rest vorzufinanzieren und weitere Spenden zu sammeln. Um den Unterhalt der Masken sichern zu können, wurden sie nun, am Tag der Enthüllung, gleichzeitig der Stadt Rodgau übereignet. Bürgermeister Max Breitenbach bestätigte mit seiner Unterschrift unter ein vorläufiges Dokument diese Übergabe und überlegte: „Mich hat immer schon die Frage beschäftigt: Was hätten wir damals gemacht? Wären wir Mitläufer gewesen? Wären wir in den Widerstand gegangen?“

Musikalisch umrahmt wurde die Feierstunde von Trompetenklängen von Tom Schüler. Ehe sich die knapp 30 Teilnehmer den Masken näherten, las Elske Ostermann-Knopp Passagen aus der Lagerzeitung „Liberty“. Die hatten einige Lagerinsassen zwischen ihrer Befreiung und ihrer tatsächlichen Entlassung gestaltet, und die die Historikerin Dr. Heidi Fogel hat sie zu einem Buch zusammengefasst.

Darin sind die Schrecken im Lager, aber auch die Erleichterungen nach der Befreiung durch amerikanische Truppen in eindrucksvollen Artikeln beschrieben. Die Zeitung erklärt auch, warum diese Gedenkstunde ausgerechnet jetzt, am Palmsamstag, stattfand. Unter „Fröhliche Ostern!“ steht da zu lesen: „Die Lagerleitung kann den Insassen die freudige Mitteilung machen, dass anlässlich des Osterfestes jeder ein Ei bekommt!“ (Christine Ziesecke)

Elske Ostermann-Knopp las aus der Zeitung „Freiheit – Liberty“, die die Häftlinge in ihren letzten Lagertagen veröffentlicht hatten.
Elske Ostermann-Knopp las aus der Zeitung „Freiheit – Liberty“, die die Häftlinge in ihren letzten Lagertagen veröffentlicht hatten. © Ziesecke

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