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Heilkräuter sollen Segen bringen

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Kräutersträuße auf dem Wochenmarkt: Brigitte Heger, Eva Gerschner und Ulrich Biebel vom Arbeitskreis für Heimatkunde Nieder-Roden banden gestern zwölf Heilkräuter zur „Werzborre“ und gaben sie gegen Spenden ab. Wegen der Trockenheit war die Menge geringer als üblich: Nach einer halben Stunde war alles aufgebraucht.
Kräutersträuße auf dem Wochenmarkt: Brigitte Heger, Eva Gerschner und Ulrich Biebel vom Arbeitskreis für Heimatkunde Nieder-Roden banden gestern zwölf Heilkräuter zur „Werzborre“ und gaben sie gegen Spenden ab. Wegen der Trockenheit war die Menge geringer als üblich: Nach einer halben Stunde war alles aufgebraucht. © Wolf

Der Arbeitskreis für Heimatkunde Nieder-Roden hält die Tradition der „Werzborre“ lebendig. Zwölf Heilkräuter werden zu einem Strauß gebunden und an Mariä Himmelfahrt (15. August) in der katholischen Kirche gesegnet. Pfarrer Dr. Peter Eckstein beleuchtet die geschichtliche Herkunft, die religiöse Dimension und die aktuelle Bedeutung.

Nieder-Roden – Der Umgang mit Heilkräutern hatte schon in vorchristlicher Zeit neben seiner medizinischen auch eine religiöse Dimension. Manche seltsamen Blüten- und Wurzelformen einiger Pflanzen, verbunden mit ihrer heilsamen oder unheilvoll-giftigen Wirkung, erregten schon früh das Erstaunen oder Entsetzen der Menschen. Die Vorstellung, dass die belebte Natur mit Göttern und Dämonen durchdrungen sei, führte dazu, dass man solche Pflanzen unter der Beobachtung bestimmter Rituale sammelte. Mit der zunehmenden Christianisierung Europas fanden diese Praktiken als „Kräuterweihe“ ihre Transformation und Kultivierung zu verschiedenen kirchlichen Festen.

Erhalten hat sich dieser Brauch am Hochfest Mariä Himmelfahrt. Er ist für den deutschsprachigen Raum seit dem 10. Jahrhundert nachweisbar.

Die genauen Hintergründe für diese Verbindung liegen im Dunkeln. Die „legenda aurea“ erzählt, dass sich am dritten Tag nach dem Tod Mariens ein „unaussprechlicher Duft“ verbreitet habe, als der Herr vom Himmel herab seine Mutter zu sich holte. Eine weitere Legende berichtet, die Apostel hätten beim Öffnen von Marias Grab nur noch Rosen vorgefunden.

Am wahrscheinlichsten ist der Ursprung dieses Brauchs jedoch in der Eigenart der Jahreszeit zu suchen. Mitte August steht die Natur überall in ihrer höchsten Blüte und Reife, sodass es nahelag, in dieser Zeit die für das Heil des Leibes so notwendigen Pflanzen – über viele Jahrhunderte hinweg hatte man keine anderen Medikamente – zu ernten und segnen zu lassen.

Je nach Region erhielten die Kräutersträuße eigene Namen, wie etwa „Krautbund“ oder „Würzwisch“. Die Nieder-Röder Bezeichnung „Werzborre“ (Würzbündel) ist wohl eine Mischung aus beiden.

Althergebrachte Überlieferungen, verbunden mit magischen Vorstellungen, blieben auch in christlicher Zeit noch lange unterschwellig wirksam. So wurde dem geweihten Krautstrauß eine automatische Schutzwirkung gegen Feuer und Blitzeinschlag zugeschrieben. Man hängte ihn deshalb in Häuser und Ställe oder verbrannte Teile von ihm bei Gewitter im Herdfeuer. Nach der Taufe legte man – nicht zuletzt wegen der hohen Sterblichkeitsquote – Kindern geweihte Kräuter ins Bett. Während der dunklen „Raunächte“, also in den zwölf Tagen zwischen Weihnachten (25. Dezember) und Dreikönig (6. Januar), legte man sie unter das Kopfkissen, um Hexengefahr zu bannen. Die Reste solcher Vorstellungen sollten erst im 20. Jahrhundert erlöschen.

Die dem Hochfest „Mariä Himmelfahrt“ zugrunde liegende Glaubensüberzeugung betont die Einzigartigkeit der Gottesmutter. Ihr Leib hat Christus, den Sohn Gottes, in sich getragen und geboren. Er sei wie ein kostbares Gefäß, dessen Zerstörung niemand zulassen würde. Deshalb habe auch Gott die Zerstörung dieses Leibes durch den Tod nicht zugelassen.

Etwas ganz Ähnliches wird in der Bibel übrigens über die Auferstehung des Menschen generell ausgesagt: Nicht nur die Seele, auch der Leib wird auferstehen, freilich in einer grundlegend verwandelten, „verklärten“ Form, wie Paulus in seinem Philipperbrief (3,21) schreibt. Wir wissen gerade heute wieder sehr gut, wie stark Leib und Seele des Menschen eine Einheit bilden. Die moderne Neurologie und Psychiatrie arbeiten auf dieser Grundlage. Wer Leib und Seele auseinanderreißt, der halbiert den Menschen.

Ausdruck dieser leibfreundlichen und heute wieder hoch aktuellen Grundhaltung sind die Kräuter- und Blumensträuße, die anlässlich des Marienfeiertages im Gottesdienst gesegnet werden. Wenn man den Brauch der Kräuterweihe zeitgemäß erweitern wollte, dann könnte man die heute gängigen Utensilien aus dem Badezimmer zur Segnung mitbringen: Salben, Duftwasser, Badetinkturen, kurz: alles, was zur Pflege und Erholung des Leibes gebräuchlich ist. All das ist gesegnet, weil Gott der Schöpfer, Freund und Vollender des menschlichen Leibes ist.

Rodgau: Kräutersträuße mit Tradition

Zwölf Heilkräuter gehören in die Werzborre: Großer Wiesenknopf, Rispen-Fuchsschwanz, Eisenkraut, Rosenrotes Weidenröschen, Rainfarn, Ufer-Wolfstrapp, Schwarze Königskerze, Echtes Johanniskraut, Liebstöckel, Gewöhnliche Osterluzei, Sumpf-Schafgarbe und Wermutkraut. Die Kräutersträuße werden traditionell zu Mariä Himmelfahrt am 15. August in der Kirche geweiht. Früher hängte man sie im Stall oder unter dem Dach auf, um Blitzschlag und andere Schäden fernzuhalten. Kranken Nutztieren mischte man die Kräuter als Heilmittel ins Futter. Über den Brauch des Kräutersammelns informiert der Arbeitskreis für Heimatkunde auf seiner Homepage.

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