1. Startseite
  2. Region
  3. Rodgau

Besondere Fahrradwerkstatt: Hier wird nur mit Ersatzteilen repariert

Erstellt:

Von: Andreas Pulwey

Kommentare

An der Verkehrstauglichkeit darf es keine Abstriche geben: Joachim Siepmann (links) und Martin Rauchhaus von der Fahrradwerkstatt sorgen für eine funktionierende Beleuchtung am Rad eines Mannes aus Eritrea.
Rodgau: An der Verkehrstauglichkeit darf es keine Abstriche geben: Joachim Siepmann (links) und Martin Rauchhaus von der Fahrradwerkstatt sorgen für eine funktionierende Beleuchtung am Rad eines Mannes aus Eritrea. © Andreas Pulwey

Im Rahmen der Flüchtlingshilfe entsteht in Rodgau eine besondere Fahrradwerkstatt. Fünf Hobby-Schrauber werkeln an teilweise schrottreifen Rädern – und das nur mit Ersatzteilen.

Rodgau – So manches alte Fahrrad ist in einem erbarmungswürdigen Zustand. Der Rost frisst am Rahmen, die Kette hat schon lange kein Fett mehr abbekommen und das Licht hat eher die Leuchtstärke einer Funzel. In der Fahrradwerkstatt in Rodgau/Dudenhofen möbeln Ehrenamtliche alte Drahtesel wieder auf. Finanziell weniger gut gestellte Menschen bekommen so ein verkehrstüchtiges Zweirad.

In der Fahrradwerkstatt am Jugendhaus wird geschraubt, gefettet und geölt. Die Ehrenamtlichen der Flüchtlingshilfe und des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Rodgau öffnen ihre Werkzeugkiste und machen alte Drahtesel wieder flott. „Wir sind ein festes Team von fünf Schraubern“, addiert Hermann Gehrke die aktiven Köpfe. Der Jügesheimer rief vor einigen Jahren die Initiative pro Fahrradreparatur ins Leben.

Rodgau (Kreis Offenbach): Fahrradwerkstatt hat Ursprung in der Flüchtlingskrise

Sein Kollege Thomas Scholl konkretisiert den Zeitpunkt, als die Fahrradwerkstatt mit ihrer Arbeit begann: „Es war zu den Hochzeiten der Flüchtlingswelle im Jahr 2015.“ Als die Rodgauer Flüchtlingshilfe um die 150 Helferinnen und Helfer umfasste, holten die Mitglieder der Fahrradwerkstatt mit Anhängern die Zweiräder an der Gemeinschaftsunterkunft in Nieder-Roden ab. Damals bekamen die neu nach Rodgau gezogenen Menschen gebrauchte Fahrräder geschenkt und instandgesetzt.

Thomas Scholl reparierte häufig privat daheim: „An manchen Tagen standen 20 Räder auf dem Hof“, sagt der Dudenhöfer. Ihm war es wichtig, mit seiner Hilfe am Nächsten ein Zeichen zu setzen, „damit die Leute sich hier wohl fühlen“. Nun ist der kleine Pavillon vor dem Jugendhaus der Treffpunkt für Männer, die gerne an Zweirädern schrauben. Die Mannschaft hilft den Flüchtlingen, aber auch Jugendlichen bei der Verkehrssicherheit an deren Vehikeln.

Rodgau (Kreis Offenbach): Syrer übernimmt in Fahrradwerkstatt komplizierte Arbeit

Während Martin Rauchhaus und Joachim Siepmann einem Mann aus Eritrea die Beleuchtung über dem Vorderrad erneuern, packt Hermann Gehrke seine mitgebrachten Ersatzteile aus. Seilzüge, Bremsbeläge und neue Sättel werden immer wieder gebraucht.

Als engagierter Hobby-Radler sitzt Hermann Gehrke pro Jahr etwa 5 000 Kilometer im Sattel. Seit acht Jahren ist er aktives Mitglied beim Rodgauer ADFC und inzwischen stellvertretender Vorsitzender. So oft es seine Zeit zulässt, ist er in der Werkstatt aktiv: Die Grundidee der Hilfe zur Selbsthilfe trug schnell Früchte. Der ein oder andere Fahrradfreund aus fremden Ländern blieb zunächst als Aktiver dabei. Einem Syrer weinte die Ehrenamtstruppe sogar Krokodilstränen hinterher. Bevor der junge Mann nach Hanau zog, bewältigte er die komplizierte Arbeit der Speicheneinstellung. Inzwischen fand sich kompetenter Ersatz: Joachim Siepmann arbeitete sich in die Materie der Speichenjustierung ein.

Fahrradwerkstatt in Rodgau (Kreis Offenbach): Tüftler kennen keinen geregelten Feierabend

Alle 14 Tage am Donnerstag gastiert die fünfköpfige Gruppe in der Freiherr-vom-Stein-Straße. Einen geregelten Feierabend kennt die Werkstattgruppe nicht. Hermann Gehrke: „Wenn viel los ist, kommen wir erst um 20 Uhr oder 20.30 Uhr nach Hause.“ Die Hobby-Werkler bleiben so lange, wie ihre Expertise nachgefragt wird. „Manchmal quält man sich den ganzen Abend mit einem Rad ab“, kennt Hermann Gehrke als studierter Elektrotechniker die Hürden seines Wirkens. Klapprige Drahtesel wirken, als kämen sie direkt vom Sperrmüll.

Doch selbst große Herausforderungen meistert der Arbeitskreis. Häufig brauchen die Bremsen des Rades neue Beläge oder die Schaltung funktioniert erst wieder mit neuen Zügen; in anderen Fällen sind schlicht die Bremsklötzchen zu justieren oder der Reifenmantel zu erneuern.

Rodgau (Kreis Offenbach): Fahrradwerkstatt soll nicht in Konkurrenz zu Geschäften stehen

Die technische Unterstützung steht neben Geflüchteten auch der Rodgauer Jugend offen. Gäste des Jugendhauses schauen den Bastlern neugierig über die Schulter. Sie eignen sich handwerkliches Geschick an. Selbst Erwachsene mit nicht so dickem Geldbeutel sind an den Werkstattabenden gerne gesehen. Die ehrenamtliche Hilfe soll nicht in einen Geschäftsbetrieb ausarten. „Wir wollen nicht in Konkurrenz zu den Fahrradgeschäften treten“, betont Hermann Gehrke. Denn von dort kommt sogar Unterstützung durch Ersatzteile.

Unterstützung bekommen auch Besucher, die Expertise und Tipps von Hermann Gehrke und seinen Kollegen suchen. „Im Winter soll etwas weniger Luft auf den Reifen“, das verbreitert die Auflagefläche und führt zu mehr Stabilität. Selbst wer noch ein Rad mit Dynamobetrieb fährt, sollte trotzdem immer mit Licht unterwegs sein. Es lässt sich zwar schwerer treten, aber Bequemlichkeit darf niemals über die Sicherheit gestellt werden.

Und noch ein Ratschlag kursiert in der Fahrradwerkstatt: Neue Mäntel auf den Reifen geben besseren Halt. Besonders bei Schnee führt dies zu einer stabileren Kurvenlage. Das nächste Treffen der Fahrradwerkstatt ist am Donnerstag, 27. Januar, und danach am 10. Februar jeweils um 17 Uhr. (Andreas Pulwey)

Auch interessant

Kommentare