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Im Würgegriff der Energiekrise

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Von: Bernhard Pelka

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Ein Gebirge aus Steinen für den Hausbau ragt auf dem Firmengelände in die Höhe.
Ein Gebirge aus Steinen für den Hausbau ragt auf dem Firmengelände in die Höhe. © pelka

Autofahrer können langsamer fahren, um Sprit zu sparen. Zuhause tut’s ein Grad weniger beim Heizen, um die Kosten zu senken. Doch welche Stellschrauben hat ein Unternehmen, um in der Gaskrise zu bestehen? Die Baustoffwerke, zum Beispiel, stellen in der Produktion jetzt zeitweise auf Öl um.

Rodgau – Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat im Zuge des Notfallplans Gas jetzt zwar auch die Industrie zum Sparen aufgefordert. Aber ist das überhaupt möglich? Wir gingen dieser Frage bei den Rodgauer Baustoffwerken im Gespräch mit den Geschäftsführern Rudolf Dombrink und Karsten Mechau sowie Betriebsleiter Stefan Wolf nach.

Der Firmenspitze zufolge hat die Gas-Krise massive Auswirkungen auf alle Standorte der Unternehmensgruppe. Hauptverbraucher ist auch im Werk im Dudenhöfer Wald der Dampferzeuger, der den Kesseln Dampf zuführt, damit darin die Steine für den Hausbau wie in einem großen Schwitzkasten aushärten können. Früher wurde der Dampferzeuger bei einem Billigpreis von etwa 1,5 Cent pro Kilowattstunde Gas ausschließlich mit Gas betrieben. An Öl dachte man höchstens als Notfallreserve. Heute aber zahlen die Baustoffwerke sechs bis sieben Cent pro Kilowattstunde fürs Gas. Das heißt: drei Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr. Folglich hat sich das Unternehmen dazu entschlossen, den Dampferzeuger jetzt teils auch mit Öl zu betreiben.

„Wir beobachten die Marktpreise für Öl und Gas täglich ganz genau und können spontan reagieren und in der Produktion stündlich umstellen, sofern es sich lohnt“, schildert Dombrink die Kostendämpfungsstrategie. Im Wiesbadener Werk habe dafür zunächst ein Öltank angeschafft werden müssen. „In Rodgau hatten wir schon einen.“

Die Krise schlägt aber auch auf anderen Gebieten zu. Ein unverzichtbares Vorprodukt zur Herstellung der Steine ist Kalk. 2021 kostete die Tonne 100 Euro, heute das Doppelte. Auf den ersten Blick ganz einfache Produkte sind aktuell schwer zu beschaffen und sündhaft teuer: Holzpaletten, auf denen die von Folie umwickelten Steine ladungssicher sitzen, kosten im Vergleich zu 2021 jetzt 100 Prozent mehr, der Preis für 1000 Meter Schrumpffolie ist von 450 auf 680 Euro gestiegen. Auch Bänder sichern die Stein-Pakete. Noch vor einem Jahr waren 1000 Meter für 18 Euro zu haben, heute werden mindestens 28 Euro fällig.

„Früher haben wir beim Palettenhersteller einen großen Posten bestellt und die Ware dann immer nach Bedarf dort abgerufen. Auch konnten wir bei vielen Produkten zwischen verschiedenen Lieferanten wählen - je nach Preis. Heute muss ich froh sein, wenn ich überhaupt etwas bekomme. Und Preisgarantien kann schon gar keiner mehr geben“, beschreibt Betriebsleiter Wolf die bedenkliche Situation.

Ein weiteres Problem ist wegen der Unterbrechung von Lieferketten die Versorgung mit Ersatzteilen. Einfache Bauteile wie Lichtschranken seien inzwischen ein Problemfall. „Früher hat man aus der Reserve im Lager bei Bedarf eine neue vom selben Hersteller geholt. Heute müssen wir improvisieren.“

Die Situation erinnert Geschäftsführer Dombrink an die Zustände in den 60-er Jahren. „Da hat man auch schon mal eine alte Maschine im Betrieb als Ersatzteillager lieber stehen gelassen, als sie wegzuschmeißen. In diese Richtung geht es wieder hin – eigentlich einen Schritt zurück.“ Das Beschaffungswesen und der Rohstoffeinkauf seien heute „so komplex wie niemals zuvor“.

Für das bei den Baustoffwerken seit etwa sechs Jahren etablierte Energiemanagementsystem ist Stefan Wolf verantwortlich. Der Betriebsleiter beobachtet wachsam den Gas-Markt und kauft feste Kontingente ein, um die Grundversorgung zu sichern. Der Rest muss vom Gasversorger spontan möglichst preiswert besorgt werden. Ständig tüftelt Wolf an Ideen, wie Gas gespart werden könnte. Über allem steht in der Firma die Sicherstellung der Lieferfähigkeit. „Die Kunden müssen zu 100 Prozent sicher sein, dass sie auf ihre Steine nicht warten müssen. Das ist oberste Maxime“, erläutern Dombrink und dessen Geschäftsführungskollege Karsten Mechau.

An der Effizienz in der Produktion wird in den Baustoffwerken nicht erst seit der Gaskrise gearbeitet, sondern schon seit Jahren. Die aktuelle Lage verschärft freilich den Druck, weitere Sparmaßnahmen einzuleiten. Was wurde bisher getan, um Energie zu sparen?

Die Baustoffwerke haben einen Teil ihrer Produktpalette umgestellt auf kleinere Maße (von 62,5 Zentimeter Breite auf 50 Zentimeter Breite). Deshalb passen jetzt mehr Steine in die Härtekessel hinein, das Volumen der Kessel wird mithin besser ausgenutzt und gefüllt als früher. Dadurch braucht es weniger Dampf (und somit weniger Gas oder Öl), um die Steine auszuhärten. Der Gasverbrauch ging um 15 Prozent zurück.

Der Brenner des Dampferzeugers fährt jetzt an Wochenenden herunter. Das ist vergleichbar mit der Nachtabschaltung herkömmlicher Heizungen im Eigenheim oder Mietshaus.

In den Härtekessel wird beim Anfahren ein Vakuum erzeugt – bisher mit Gas. Künftig wird das eine von Strom

angetriebene Pumpe erledigen.

Umstieg von Schrumpffolie auf Stretchfolie. Grund: Die Schrumpffolie muss erwärmt werden, damit sie sich um die Steine auf den Paletten zusammenzieht. Das kostet Gas. Die Stretchfolie hingegen schnurrt wie ein enger Kompressionsstrumpf zusammen - ganz

ohne Hitze.

Das Ergebnis dieser auf Effizienz abgestellten Maßnahmen kann sich sehen lassen: 2015 brauchten die Baustoffwerke zur Erzeugung von einem Kubikmeter Steinen 158 Kilowattstunden Gas, heute noch 110 Kilowattstunden. Und noch ein Beispiel: 2021 brauchte der Betrieb zur Erzeugung von einer Tonne Dampf 870 Kilowattstunden Gas, aktuell hingegen noch 780.

Nächstes Projekt ist die Anschaffung von Wärmespeichern. Sie sollen Abwärme aus der Produktion bunkern und bei Bedarf dem Wasser zuführen, das der Dampferzeugung dient. Die Rechnung ist ganz einfach: Je heißer dieses Wasser von vornherein ist, desto weniger Energie (also Gas oder Öl) ist nötig, um daraus Dampf zu machen. (bp)

Blick in einen offenen Härtekessel (rechts), gefüllt mit Steinen.
Blick in einen offenen Härtekessel (rechts), gefüllt mit Steinen. © Pelka, Bernhard
Ein Greifer holt sich im Porenbetonwerk eine Lage ausgehärteter Steine.
Ein Greifer holt sich im Porenbetonwerk eine Lage ausgehärteter Steine. © Pelka, Bernhard

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