1. Startseite
  2. Region
  3. Rodgau

Kirchenchor legt für immer die Noten weg

Erstellt:

Von: Ekkehard Wolf

Kommentare

Gut zwei Dutzend Stimmen stark war der evangelische Kirchenchor Dudenhofen im Oktober 2013, als er zum 110-jährigen Bestehen den Sonntagsgottesdienst mit mehreren Liedern bereicherte. Zuletzt kamen oft nur vier bis sechs Personen in die Probe. Archi
Gut zwei Dutzend Stimmen stark war der evangelische Kirchenchor Dudenhofen im Oktober 2013, als er zum 110-jährigen Bestehen den Sonntagsgottesdienst mit mehreren Liedern bereicherte. Zuletzt kamen oft nur vier bis sechs Personen in die Probe. Archi © Ziesecke

Dudenhofen – Der letzte Auftritt war vor drei Monaten bei der Abschlussandacht des Gemeindefests. Jetzt ist endgültig Schluss. Der evangelische Kirchenchor Dudenhofen hat sich zur Jahreswende aufgelöst – ein Jahr vor dem 120. Geburtstag.

„Mit zehn Sängern stellen wir uns nicht mehr auf die Empore“, sagt Vorsitzender Dieter Lotz. Der Kirchenchor teile das Schicksal vieler Chöre: Überalterung und fehlender Nachwuchs.

„Die meisten sind über 80 Jahre alt“, berichtet Schriftführerin Ursula Kircher. Ein Sänger könne im Januar sogar seinen 90. Geburtstag feiern. Während der Corona-Pandemie habe der Chor fast zwei Jahre lang mit den Singstunden ausgesetzt. Davon habe sich die Gemeinschaft nicht mehr erholt. Die zuletzt zehn Sängerinnen und Sänger seien nur noch selten vollzählig gewesen: „In der Probe waren wir oft nur vier bis sechs Stück. Da ist es nicht möglich, einen Chor aufrecht zu erhalten.“

Kurz vor Weihnachten trafen sich die Aktiven zum letzten Mal. Dieter Lotz: „Da haben wir nicht mehr groß gesungen, sondern nur eine kleine Weihnachtsfeier mit Geschenken gemacht.“

Durch seine inzwischen verstorbene Ehefrau war Dieter Lotz in den Kirchenchor gekommen. Das war 1980, als er beruflich vom Außen- in den Innendienst wechselte: „Da hatte ich ja abends Zeit.“ Eines seiner schönsten Chorerlebnisse in 42 Jahren war die Aufführung der Deutschen Messe von Franz Schubert unter Chorleiter Peter Rieß: „Das war wunderbar.“

Als Dieter Lotz sich dem evangelischen Kirchenchor anschloss, war Ursula Kircher schon lange dabei. Sie trat 1962 als junges Mädchen dem Chor bei, in dem schon ihre Mutter und ihre Großmutter gesungen hatten. Damals war es üblich, nach der Konfirmation in den Kirchenchor einzutreten. Die Singstunden waren im Saal des Gasthauses „Zur Krone“. Die Jugendlichen bekamen ein kleines Taschengeld, um sich vor der Probe eine Limonade zu kaufen.

Der Kirchenchor war damals eine feste Größe in der Gemeinde. Er gestaltete bis zu zehn Gottesdienste im Jahr mit. Ausflüge führten die Sängerinnen und Sänger an reizvolle Ziele in Hessen und darüber hinaus.

Angefangen hatte alles kurz vor Weihnachten 1903 in der Eckstube des Anwesens Dr.-Weinholz-Straße 10. Dort gründeten Dekan Schuster und zehn weitere Personen einen evangelischen Kirchengesangverein – gerade noch rechtzeitig, damit der Chor die Gottesdienste an Weihnachten und Silvester mitgestalten konnte. Der Name des Chors war sein Programm: „Gloria in Excelsis Deo“, auf Deutsch: „Ehre sei Gott in der Höhe.“

Der gemischte Chor hatte regen Zulauf. Er brachte es rasch auf mehr als 100 Sängerinnen und Sänger. Bei den Proben im alten Rathaus wurde es eng. 1931 änderte der Chor seine Bezeichnung in „Kirchenchor“. Er nahm bewusst nicht an Veranstaltungen der weltlichen Vereine teil, „da sonst ein zu großes Abweichen von seinem eigentlichen Zweck zu befürchten sei“, wie es 1934 hieß.

Der Kirchenchor wirkte nicht nur an Festgottesdiensten mit, sondern sang über viele Jahre hinweg auch bei Trauungen und Beerdigungen. Mit Ausflügen und Familienabenden pflegten die Mitglieder die Geselligkeit. Zur Glockenweihe 1950 führte der Chor sogar ein Theaterstück auf: den „Urfaust“ von Johann Wolfgang von Goethe. Die Dudenhöfer sangen auch bei den Feierlichkeiten zum Bau der evangelischen Kirche in Nieder-Roden, von der Grundsteinlegung 1961 über die Einweihung bis zur Glockenweihe 1965.

In den 60er-Jahren wurde auch in Dudenhofen gebaut. Der Kirchenchor spendete den Erlös zweier Konzerte für den Bau des Pfarr- und Gemeindehauses (1965) und für die Renovierung der Kirche (1967 - 1969).

Zu den großen musikalischen Ereignissen zählen gemeinsame Konzerte mit dem Musikverein Dudenhofen oder dem Mandolinenorchester des Wanderclubs Edelweiß. Die Deutsche Messe von Franz Schubert wurde 1980 gemeinsam mit dem Kirchenchor aus Nieder-Roden und einigen Mitgliedern des Musikvereins aufgeführt. „Davon liegt noch ein Plakat im Gemeindehaus“, weiß Schriftführerin Ursula Kircher.

In den letzten 30 Jahren stand Taissia Hain am Dirigentenpult. In ihre Ära fallen die Aufführungen der Bach-Kantaten „Jesu meine Freude“ (1993) und „Nun komm der Heiden Heiland“ (1995) gemeinsam mit anderen Ensembles und Solisten. Ihr langjähriges Engagement wurde nur noch von Heinrich Küchler übertroffen, der den Kirchenchor von 1921 bis 1976 leitete.

Zum 100-jährigen Bestehen des evangelischen Kirchenchors gab es 2003 nicht nur einen Festgottesdienst, ein Konzert und eine Feier im Gemeindehaus, sondern auch eine Ausstellung und eine gedruckte Festchronik mit 16 Seiten. Bereits damals wurden Zukunftssorgen deutlich. „Dem Chor fehlt es an Nachwuchs“, schrieben die Verantwortlichen. Die 35 Aktiven hatten einen Altersdurchschnitt von 60 Jahren. Bei manchen Auftritten war der Bass nur durch einen einzigen Sänger vertreten. eh

Auch interessant

Kommentare