Kosmetik auf natürlicher Basis kommt aus Rodgau

Warum Chemie, wenn es auch anders geht? Fragt eine promovierte Chemikerin in Rodgau und liefert im Wortsinn handfeste Antworten: So nachhaltig wie möglich und mit dem maximal erreichbaren Bio-Anteil stellt Dr. Imke Schultz in ihrer Nieder-Röder Wohlfühlwerkstatt Seifen, Shampoos, Cremes und Lotionen her. Freundinnen hat die „Grüne Grazie“, ihre persönliche Naturkosmetik-Marke, auch in München, Kassel oder Hamburg – und dabei ist sie noch keine eineinhalb Jahre im Geschäft.
Nieder-Roden - Wenn sie in ihrem Produktionsraum selbst gemachte Pflanzenextrakte abfiltriert, Gesichtsöl in Fläschchen oder Emulsionen in gläserne Tiegel füllt, lebt die 51-Jährige nach eigenen Worten einen Jugendtraum. Schon als Schülerin in ihrer Geburtsstadt Bremerhaven habe sie sich für chemische und biologische Prozesse interessiert, in den 80er Jahren nach Rezepten aus der Literatur und mit Zutaten aus der Apotheke selbst Gesichtscremes gemischt.
Im Chemiestudium spezialisierte sich die junge Frau in Richtung Medizin und Biochemie, bis zur Diplomarbeit in einer Hautklinik. Nach der Promotion arbeitete sie bei einem großen deutschen Pharmakonzern in Frankfurt an Kosmetika.
In Rodgau heimisch geworden ist Imke Schultz mit ihrem Mann und zwei Kindern seit rund 15 Jahren. Auch heute noch steht sie bei einem Pharma-Unternehmen in der Region in Lohn und Brot, daneben aber schlägt die „Grüne Grazie“ kräftig Wurzeln. 2016 schon habe sie angefangen, zu experimentieren, den Naturkosmetik-Markt zu beobachten und eigene Produkte zu entwickeln, berichtet sie. Ohne wirtschaftlichen Druck, dafür mit reichlich Erfahrung und Sachkenntnis konnte die gestandene Fachfrau gelassen an die Arbeit gehen: Sicherheitsbewertungen, gesetzliche Vorschriften und Qualitätsansprüche – damit kennt sich Imke Schultz bestens aus und lässt sich, wie sie sagt, „von keinem ins Bockshorn jagen“.
Rodgau: Unternehmensgründung mitten in der Corona-Pandemie
Ein Geschäft wurde aus dem Projekt im November 2020, mitten in der Corona-Pandemie. „Das gab sogar einen gewissen Schub“, sagt Imke Schultz: Niemand habe ermessen können, wie lange ein Job in der Industrie noch sicher sei. Den Vertriebsweg lieferte ein neuer Trend: Erste „Grüne Grazie“-Sortimente tauchten in Unverpackt-Läden auf – in Nieder-Roden natürlich, dann auch in Neu-Isenburg, Otzberg im Odenwald, Langenselbold und Unterfranken. Mittlerweile deckt das regionale Netz einen Einzugsbereich von rund 200 Kilometern ab und umfasst auch Bioläden.
Vertriebspartner in Ostfriesland oder am Alpenrand, in Kassel oder Mannheim gibt es auch, zumeist aber in Folge persönlicher Beziehungen. Imke Schultz legt Wert auf Regionalität und besucht persönlich jeden, der die „Grüne Grazie“ in sein Sortiment aufnehmen will. „Es muss passen“, sagt sie. „Wir müssen unter Nachhaltigkeit das Gleiche verstehen.“
Ihre eigenen Ansprüche nehmen sich eindrucksvoll aus: Grundstoffe bezieht sie von spezialisierten Großhändlern aus der Kosmetikszene. Bioqualität, Reinheit, Authentizität: „Die Anforderungen werden von mir formuliert und vom Lieferanten bescheinigt.“ Pflanzenextrakte stellt die Biochemikerin am liebsten selbst her, lagert sie in Apothekerflaschen und behält stets die Haltbarkeit im Blick. Als Duftstoffe kommen nur ätherische Öle in Frage. Und Plastik-Gefäße sind als Verpackung tabu.
Was unter solchen Voraussetzungen in der Wohlfühlwerkstatt entsteht, ist auf einem Blick im seit Januar freigeschalteten Webshop zu sehen – aktuell mehr als 30 Produkte, darunter einige durchaus ungewöhnliche Formate: Shampoos, Handcreme und Deodorants in fester Form, Gesichts- und Haaröle, Körper- und Gesichtscremes für jeden Hauttyp und sogar Rasierseife.
All das fertigt Imke Schultz in überschaubaren Chargen, gelegentlich auf Nachfrage auch individuell. Ausführliche Informationen zu Inhaltsstoffen, Anwendung und Wirkungsweise sind immer dabei. Am Markt ordnet sie ihre Firma als „Zwischengröße“ ein: „Oberhalb der Hobbywerkstatt, unterhalb der Industrie.“ Der Einkauf angemessener Rohstoffmengen sei unter diesen Bedingungen manchmal schwierig. Ihre eigenen Preise siedelt sie „im Fachhandel angemessen, im Drogeriemarkt im oberen Drittel“ an. Mit sich handeln lässt die Unternehmerin durchaus, ist auch offen für Wünsche von Kunden und Partnern. Nicht verhandelbar bleibe freilich der Markenkern – die Nachhaltigkeit. (zrk)