Rodgau: Märchen begeistern nicht nur kleine Zuhörer

Warum das Meerwasser salzig ist, sich fleißiges Lernen lohnt und der Prinz Olala die runde Prinzessin geheiratet hat - das und noch mehr erfuhren 14 Kinder aus Rodgau von einem, der das Geschichtenerzählen zur Kunstform erhoben hat. Christian Mayer-Glauninger zog in der Stadtbibliothek nicht nur die jüngsten Zuhörer in seinen Bann.
Rodgau - Längst nämlich finden sich auch erwachsene Gäste ohne Kinder ein, wenn der Erzähler mit seiner Märchenstunde angekündigt ist. Seit Corona den Würgegriff um die gelebte Kultur gelockert hat, kommt der Geschichtenprofi aus Dudenhofen wieder regelmäßig in die Rodgauer Stadtteilbüchereien. Viele, die ihm zuhören, sind schon gute Bekannte. „Es gibt Stammgäste“, sagt Mayer-Launinger, vor allem Mütter mit Sprösslingen im Kindergartenalter.
Weil ihr vierjähriger Sohn das wolle, erklärt eine Besucherin: „Er freut sich schon Tage vorher, wenn wieder Märchenstunde ist“. Solche Insider wissen selbstredend genau, was von ihnen erwartet wird, wenn der Erzähler vom König Grrr und seinen drei Töchtern zu sprechen beginnt. Die Lange, die Runde und die Schöne werden nicht mit Namen, sondern mit Gesten und Geräuschen beschrieben – die ganze rund zehnminütige Story hindurch und unter begeisterter Beteiligung des Auditoriums.
Normalerweise steigt Christian Mayer-Glauninger mit der skurrilen Mitmach-Nummer in sein Programm ein, gleichsam zum Aufwärmen und mit einer Prinzenhochzeit zum guten, motivierenden Schluss. „Und sie lebten glücklich und zufrieden bis in alle Ewigkeit“ sprechen routinierte Hörer mit. Eine Schlussformel, die ebenso dazugehört wie das „Es war einmal“ zu Beginn. Ebenfalls ein gern gehörter Klassiker scheint die Geschichte von der Zaubermühle zu sein, die sich der böse Schiffskapitän unter den Nagel reißt und nicht mehr stoppen kann. So mahlt das Mühlwerk immer mehr Salz, und als das Schiff unter dem Gewicht versinkt, wird klar, warum das Meer salzig ist.
An diesem Nachmittag schickt der Geschichtenmann eine Parabel voraus, die ebenfalls typisch für sein Repertoire ist. Den Begriff Märchen definiert er über den mitteleuropäischen Rahmen hinaus und bedient sich freimütig an überlieferten Erzählungen aus allen Kulturkreisen, wenn sich daraus etwas lernen lässt. So kann die gelehrige Schreinerstochter dem Kaiser von China ein großes Zelt für sein riesiges Gefolge bauen, weil sie daheim den Mastbau, bei Seeräubern das Seilflechten und beim Tuchmacher das Weben gelernt hat. Die Moral: Wer seine Chancen nutzt, fährt eine gute Ernte ein: in diesem Fall einen chinesischen Prinzgemahl.
Mit dem Hinweis auf die Ernte hat Mayer-Glauninger die Punktlandung im Rodgauer Herbst geschafft und seinen jungen Zuhörern, die auf ihren Sitzkissen von Geschichte zu Geschichte immer näher an ihn heranrücken, aktuellen Gesprächsstoff geliefert. Eifrig zählen die Kinder die Farben der Blätter auf, die nun bald fallen werden.
Derlei Kunstgriffe sammelt der gelernte Erzieher seit rund 20 Jahren in seiner Trickkiste. So lange ist der gebürtige Rodgauer nach eigenen Worten schon als Erzähler „im Hauptberuf“ unterwegs. Wenn er nicht gerade die Jüngsten mit Märchen und Mythen unterhält, tritt er als freier Redner bei festlichen Anlässen auf, leitet Meditationen oder sagt in Entspannungsseminaren Mantras auf. Die Rodgauer Bibliotheken nehmen in seinem Terminkalender feste Plätze ein. Ende November will er in der Bücherei am Puiseauxplatz sein. (Karin Klemt)