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Mit 10 PS über den Brenner

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Von: Andreas Pulwey

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„Monsieur Hugo“ bewältigte alle Passstraßen, auch die steile Route de la Bonette.
„Monsieur Hugo“ bewältigte alle Passstraßen, auch die steile Route de la Bonette. © p

Mit einem 10-PS-Motorroller haben Heike und Michael Dartsch mehrere Länder Europas bereist. Ein Höhepunkt im wahrsten Sinn des Wortes: Auf der Route de la Bonette überquerten sie den höchsten asphaltierten Pass der Alpen - im Schritttempo und mit den letzten Tropfen Sprit im Tank.

Rodgau - Das Reise-Gen bekamen Heike und Michael Dartsch von ihren Eltern in die Wiege gelegt. Von klein auf ging es für die Frankfurterin mit der Familie zum Skifahren oder im Sommer ans Meer. Michael Dartsch stammt aus Dudenhofen und trägt seinen Heimatort bis heute im Herzen. Sein erster großer Flug führte ihn 1977 zu den Naturwundern Amerikas.

Heute lebt das Ehepaar Dartsch gemeinsam in Nieder-Roden. Das Fernweh der Jugend ist bis heute fester Bestandteil ihres Erwachsenenlebens. Von ihrer Wahlheimat aus starteten sie 1998 eine Tournee der Urlaubsfahrten, die ihnen Teile Süd- und Osteuropas näherbrachte.

„Die Langsamkeit des Reisens hat mich schon immer fasziniert“, träumt Michael Dartsch bis heute von der Alpenregion. Wer in gemächlicher Gangart unterwegs ist, nimmt die Natur und das Land ganz anders wahr.

Im Jahr 1997 bekamen die Eheleute „Familienzuwachs“. Die Anschaffung des Motorrollers „Piaggio ET 4“ veränderte ihr Leben. Liebevoll tauften sie das Gefährt „Monsieur Hugo“. Mit nur 125 Kubikzentimetern und schmalen zehn Pferdestärken auf den Zylindern stemmte das zweirädrige „Arbeitstier“ alle Anforderungen. Ohne Anhänger und Beiwagen kam alles Lebensnotwendige auf „Hugo“ oben drauf. Bis heute wundert sich das Paar über ihr organisatorisches Genie: „Wir hatten als Gepäck eine Tasche mit Kleidung, zwei Kopfkissen, ein Zelt, die Schlafsäcke und zwei Luftmatratzen dabei.“ Er als Fahrer und sie als Sozia nahmen selbstredend ebenfalls noch Platz. Sogar für ein knitterfreies Abendkleid fand sich ein Plätzchen in der Reisetasche. „Und wir hatten immer zwei Weingläser dabei“, betont Heike Dartsch. „Darauf legten wir viel Wert.“ Mehr war zum Glücklichsein gar nicht nötig.

Der erste Kurztrip führte ins schöne Elsass. „Monsieur Hugo“ bekam die „tragende Rolle“, und Fahrer und Beifahrerin erkannten: Die Vespa hat mehr auf dem Chassis als zunächst vermutet.

Im Jahr darauf sollte der mehrwöchige Sommerurlaub zu dritt verbracht werden. Mit „Monsieur Hugo“ tuckerte das Ehepaar nach Bayern. Bei einer Rast in einem Mittenwalder Lokal kam die Idee, mit dem Zweirad den Brenner zu überqueren. Gesagt, getan. „Monsieur Hugo“ nahm alle Passstraßen mit Bravour. Auf der anderen Seite der Alpen grüßte das sonnige Italien. „Das war die Initialzündung“, zeigte sich Michael Dartsch von dem Husarenritt begeistert. Der kleine Flitzer hatte sich für noch größere Aufgaben qualifiziert.

Zwölf Monate später transportierte „Hugo“ erneut zwei Personen, plus Schlafsäcke und Zelt. Dieses Mal ging es in die heilige Stadt. Der Roller war prädestiniert für den Verkehr auf Roms Straßen. Wendig, wie der kleine Kerl war, ging es im Sauseschritt bis zum Petersdom.

Irgendwann richtete die Bahn einen Auto-Reisezug ab Neu-Isenburg ein. Der Zug übernahm den Transport und „Monsieur Hugo“ durfte sich auf den ersten Hunderten Kilometern schonen.

Campingplätze waren das bevorzugte Anlaufziel. Da Tisch und Stühle beim besten Willen nicht auf den kleinen Motorroller passten, diente seine Sitzbank als Büfett. „Hugo“ erwies sich tagsüber als Transportmittel und am Morgen als Frühstückstisch.

So auch im Südosten Frankreichs. In Avignon überquerten die drei die Rhone über die Pont Édouard Daladier. Dort spielte das Zweirad erneut seine Vorteile aus: „Es ist das Tolle am Vespafahren“, ist Michael Dartsch noch heute begeistert, „man fährt in die Stadt und direkt zu dem Punkt, den man erreichen will.“ Der nervigen Parkplatzsuche sagten die beiden kurzerhand Lebewohl. So parkte „Hugo“ bei schönem Wetter genau vor dem ehemaligen Papstsitz, dem Palais des Papes.

Einen berauschenden Moment erlebten die Rodgauer im Jahr 2010 auf der Route de la Bonette. Den höchsten asphaltierten Pass der Alpen erreichten sie mit Ach und Krach. „Hugo“ schnaufte auf der letzten Schraube, der Tachometer zeigte nur noch zehn Stundenkilometer und die Tankanzeige neigte sich gen null. Das Trio schaffte den steilen Anstieg. Oben wartete schon eine Gruppe Motorradfahrer und applaudierte Mensch und Maschine für das Erreichen des Gipfels.

Mehr als 70 000 Kilometer leistete „Monsieur Hugo“ treu seinen Dienst. Trotz serpentinenreicher Passstraßen streikte der Motor nicht ein einziges Mal. Nur bei einem Südeuropatrip beschädigte ein voll beladener und gebrochener Gepäckträger das Chassis. Zum Glück geschah dies in Italien, im Land der Motorroller. Schnell war ein kompetenter Mechaniker gefunden. Innerhalb weniger Stunden war das Vehikel wieder fahrbereit, ruckzuck ging die Fahrt weiter in Richtung Süden.

„Monsieur Hugo“ ist bis heute Teil der Familie Dartsch. Da der Auto-Reisezug ab Neu-Isenburg im Jahr 2015 seinen Dienst quittierte, sind die Zeiten der Alpenausflüge mit dem kleinen Gefährt vorbei. Aber die wundervollen Erlebnisse ohne umfangreiches Gepäck und ohne Luxus bleiben Heike und Michael Dartsch für immer im Herzen.

Viele Aufkleber erinnern an denkwürdige Urlaubsfahrten mit dem Motorroller.
Viele Aufkleber erinnern an denkwürdige Urlaubsfahrten mit dem Motorroller. © p

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