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Neuer Kinderarzt in weiter Ferne

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Von: Bernhard Pelka

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Als die Praxis in Weiskirchen schloss, bildete sich eine Schlange wartender Eltern, die Patientenakten abholen wollten.
Als die Praxis in Weiskirchen schloss, bildete sich eine Schlange wartender Eltern, die Patientenakten abholen wollten. © Archivbild: Pelka

Rückschlag bei der Suche nach einem Kinderarzt: Die Stadt hat nach vielen Anläufen keinen Interessenten gefunden. Die seit Februar 2020 von der Stadt vorsorglich angemietete leere Praxis der verstorbenen Kinderärztin Dr. Marion Kindling-Rohracker ist zum 30. September an den Vermieter zurückgegeben worden.

Rodgau – „Wir bleiben dran“, sagt Bürgermeister Jürgen Hoffmann entschlossen. Doch auch er räumt offen ein: „Die Situation ist eher schlechter geworden.“ Seit dem Tod der Weiskircher Kinderärztin Dr. Marion Kindling-Rohracker im August 2019 gibt es für rund 7 700 Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren nur noch zwei Kinder- und Jugendarztstellen, statt früher 2,5. Die zwei Stellen füllen der Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Dr. Andreas Hinkel, und dessen Kolleginnen in Nieder-Roden.

Das Nachfolge-Ärzteteam in Weiskirchen hatte zum 30. Januar 2020 die Segel gestrichen. Die Stadt mietete die leere Praxis danach zwar vorsorglich an. Bisher scheiterten jedoch alle Bemühungen um eine Nachfolge. Zuletzt gab es nach Angaben der städtischen Pressestelle im Februar und Mai dieses Jahres Kontakte zwischen städtischer Wirtschaftsförderung und möglichen Interessenten. Die liefen aber genauso ins Leere wie zuvor die schon sicher geglaubte Zusage einer Kinderärztin, die im Oktober 2020 in letzter Minute abgesagt hatte. Die Stadt hat die Wohnung jetzt an den Vermieter zurückgegeben, „auch, weil er Nachmieter hatte und einen Neuanfang wollte“, erläutert Hoffmann. Ersatzräume habe man „im Auge“. Jeden Tag durchforste die Wirtschaftsförderung im Internet Arbeitsplatzbörsen für Ärzte, um fündig zu werden.

Der Bürgermeister beobachtet, dass es nach einer anfänglichen Protestwelle mit Unterschriftensammlung und Petition nach Schließung der Weiskircher Praxis und nach Aktionen auch der Kommunalpolitik inzwischen ruhig geworden ist um das an sich brisante Thema. Dr. Andreas Hinkel hat dafür eine schlüssige Erklärung. „Es war Corona. Wir hatten in der Praxis ein Dreivierteljahr quasi tote Hose, alle waren im Lockdown. Wir haben die Zeit unter anderem dafür genutzt, um unsere Überhänge an regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen abzuarbeiten.“

Seit diesem Sommer kippe die Lage allerdings wieder. „Hier brennt die Hütte dermaßen. Gestern und vorgestern hatten wir je 130 Kinder. Die Kunden haben bis auf den Puiseauxplatz hinaus gestanden“, schildert der Facharzt die Situation. „Und das ist erst der Anfang des Winters.“ Er führt den Andrang auch darauf zurück, dass viele im Lockdown zuhause keinen Erregern ausgesetzt waren und jetzt umso empfindlicher reagieren.

Dass niemand für die verwaiste Praxis in Weiskirchen zu finden ist, liegt Dr. Hinkel zufolge daran, dass sich das Berufsverständnis bei vielen angehenden Ärztinnen und Ärzten gegenüber früher gewandelt habe. „Mit meinen Kolleginnen hier habe ich großes Glück. Viele haben heute aber andere Vorstellungen davon, wie das Verhältnis von Freizeit und Arbeitszeit täglich aussehen sollte. Selbstständigkeit kommt für viele deshalb nicht mehr in Frage.“  

Von Bernhard Pelka

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