Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze in Grundschulen: Schulen sorgen sich um Qualität

Führt der Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze ab 2026 zu einer Massenabfertigung in den Grundschulen? Die Carl-Orff-Schule in Rodgau schlägt Alarm: Zuwendung und Geborgenheit dürfen nicht verloren gehen.
Jügesheim – Mit gemischten Gefühlen blickt die Carl-Orff-Schule (COS) dem Jahr 2026 entgegen. Dann tritt der Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze für Grundschüler in Kraft. Für berufstätige Eltern klingt das zunächst gut. Doch noch ist nicht klar, wie das Gesetz in die Tat umgesetzt werden kann.
Schulleitung und Förderverein sorgen sich, dass es beim Ausbau der Angebote nur um die Quantität geht und die persönliche Zuwendung auf der Strecke bleibt.
„Das bereitet uns extreme Sorgen“, sagt Schulleiterin Sabine Döring. Sie befürchte, dass sich die politische Diskussion nur darauf beschränke, den zahlenmäßigen Bedarf zu decken – ähnlich wie vor Jahren beim Rechtsanspruch auf Kita-Plätze: „Was massiv darunter leidet, ist die Qualität der Arbeit mit dem Kind.“
Rodgau: Ganztagsschule lässt Eltern die Wahl
Seit 13 Jahren arbeitet die Carl-Orff-Schule nach dem Konzept der einzügig gebundenen Ganztagsschule. Dabei arbeiten Pädagogen und Betreuungskräfte Hand in Hand.
Vor der Einschulung können die Eltern unter zwei Modellen wählen: der Ganztagsschule und der klassischen Vormittagsschule.
In den Ganztagsklassen verteilen sich Lern- und Entspannungsphasen über den ganzen Tag. Die Kinder sind täglich bis 15.30 Uhr in der Schule, können aber auch bis 17 Uhr bleiben. Für die Schüler der anderen Klassen gibt es ein Betreuungsangebot bis 14 Uhr, mit Mittagessen, Hausaufgaben- und Spielzeit.
Die Halbtagsbetreuung findet in kleinen Gruppen von zehn Kindern mit festen Bezugspersonen statt. „Die Kinder lieben ihren Betreuungsplatz“, sagt Sabine Döring. Sie erklärt sich das durch die geänderte Lebenswirklichkeit in vielen Familien: „Wir erleben hier Kinder, die Kontinuität, Verlässlichkeit, Geborgenheit, Rhythmus und Strukturen zu Hause nicht mehr erleben.“
„Wir können kein Elternhaus ersetzen“, betont die Schulleiterin. Dennoch wolle und müsse die Schule zuerst an die Kinder denken, sagte sie beim jüngsten Besuch des Landtagsabgeordneten Frank Lortz, der sich seit vielen Jahren regelmäßig in hessischen Schulen über die Situation vor Ort informiert. Der CDU-Politiker und Landtagsvizepräsident hat nicht nur Zugang zu entscheidenden Köpfen in den Ministerien. Als ehrenamtliches Mitglied des Kreisausschusses kann er auch Einfluss auf die Schulpolitik des Kreises nehmen. Und als Verwaltungsratsvorsitzender der Sparkasse bringt er meist auch eine Geldspende mit.
Ortswechsel in den Ferien gehört zur Erholung dazu
Betreuungsangebote an den Schulen würden zumeist durch die Brille des Bedarfs der Eltern gesehen, sagt Konrektorin Evi Hübner: „Mir fehlt die Brille des Kindes.“ Das gelte gerade auch für die Ferienbetreuung. Die Kinder sollten nicht auch die Ferien von 7 bis 17 Uhr in der Schule verbringen. Zur Erholung gehöre ein Ortswechsel. Kerstin Biederbick, die seit fast zehn Jahren die Betreuung an der COS leitet, formuliert das gegenüber Eltern so: „Sie möchten ja auch nicht Ihre Ferien im Büro verbringen.“
Auch bei Platz und Personal stößt die Betreuung der Carl-Orff-Schule an ihre Grenzen. Sie ist mit 157 Kindern ausgebucht. 15 weitere Kinder stehen auf der Warteliste.
Rodgau: Betreuungskräfte sind mit Herzblut dabei
Im 30-köpfigen Betreuerteam arbeiten Menschen aus unterschiedlichen Berufen. Die meisten von ihnen haben selbst Kinder großgezogen. Viele Mitarbeitende wohnen im Ort und kommen täglich für ein, zwei Stunden in die Schule, um „ihre“ Kinder zu begleiten. „Eine Umwandlung des Konzepts in eine Massenverwahrung würden nur wenige mitmachen“, sagt Kerstin Biederbick. Ohnehin sei es schwierig, neue Mitarbeitende zu finden: Kaum jemand sei noch bereit, für wenig Geld eine solche Tätigkeit zu leisten: „Die Personalressource, aus der wir schöpfen, stirbt aus.“
Das bestätigt auch Roland Herth, der langjährige Geschäftsführer des Schulfördervereins. Für altersbedingt ausscheidende Mitarbeitende sei kaum Ersatz zu finden. Auch finanziell sei die Lage angespannt, obwohl die Stadt Rodgau die Betreuung jedes Jahr mit einem sechsstelligen Betrag unterstütze. Die Zuschüsse der öffentlichen Hand seien allerdings seit etwa zehn Jahren nicht mehr erhöht worden. Steigende Kosten, unter anderem durch die Erhöhung des Mindestlohns, müsse der Förderverein deshalb an die Eltern weitergeben.
Für Schüler der Ganztagsklassen kostet die Betreuung zurzeit 210 Euro im Monat. Die Halbtagsbetreuung nach dem Unterricht bis 14 Uhr kostet 109 Euro monatlich.