Treuer Ratgeber zu aller Zeit

NACHRUF Pfarrer Wendelin Meissner war ein Seelsorger im wahrsten Wortsinn
Jügesheim – Die katholischen Gemeinden St. Nikolaus und St. Marien haben eine prägende Persönlichkeit und herzensguten Menschen verloren. Pfarrer Wendelin Meissner ist (wie berichtet) in der Nacht zum vergangenen Samstag in seiner Heimatstadt Offenbach im Sana-Klinikum gestorben. Er wurde 81 Jahre alt.
54 Jahre übte der Geistliche sein Priesteramt aus, 46 Jahre davon in Jügesheim. Es gehörte zu seinem Selbstverständnis, seine Gemeinde nicht einfach nur klerikal zu betreuen – etwa mit Heiligen Messen oder der Spendung der Sakramente Taufe, Ehe, Eucharistie, Firmung. Sein Wirken hat über Rodgau hinaus vielmehr noch weit tiefere Spuren hinterlassen.
Große Bedeutung hatte für ihn stets die soziale Frage. Projekte wie das Haus der Begegnung, der Neubau des einst umstrittenen Kindergartens, des Martin Luther King Hauses, die Renovierung der beiden Kirchen und der Bau der Häuser Emmanuel mit Behindertenwohnungen zeugen mitten im Ort und damit mitten im Leben davon. Nicht zu vergessen die Mitwirkung am Hospizneubau am Wasserturm und am Sozialprojekt Tante Emma.
Dabei verstand es Wendelin Meissner, Neugierde aufs Ehrenamt zu wecken, Mitstreiter zu gewinnen, und eine neue Spendenkultur zu befördern. Davon profitiert bis heute unter anderem der Verein Gemeinsam mit Behinderten, den der Pfarrer mit sieben Gleichgesinnten 1980 gegründet hat und damit auch den aus Darmstadt mitgebrachten 24-Stunden-Lauf auf den Weg brachte. Heute ist der Lauf die größte Benefizaktion zu Gunsten der Behindertenarbeit in ganz Hessen. Das alles rückte Behinderte, die früher am Rand der Gesellschaft standen, in das Zentrum des öffentlichen Lebens – anfangs durchaus gegen Widerstände.
Der Hirte verstand sich auch als Sozialarbeiter. Er kannte Höhen und Tiefen seiner Gemeinde, wusste um Unzulänglichkeiten, kleine und große Sünden aus tausenden Gesprächen. Ungezählten Familien war er über Jahre hinweg Stütze und Helfer in der Not. Der Priester lernte dabei kennen, dass die Erwartungen der Kirche oft nicht wie das richtige Leben verlaufen. „Eine Ehe, zum Beispiel, kann durchaus schief gehen“, erläuterte er das er kurz vor seinem Abschied in den Ruhestand 2019. In der Begegnung mit Menschen war ihm deshalb umso wichtiger, den Umgang mit Schuld und Scheitern zu ermöglichen. „Es nützt nichts, den Leuten dauernd das Versagen vorzuhalten. Wichtiger ist es, Brücken zu bauen.“ Meissners Haltung („Er gibt aber auch jedem den Segen.“ wurde ihm oft vorgeworfen) hat nicht nur Freunde gefunden. Man glaubt es nicht, aber manche meinten, ihn in Mainz anschwärzen zu müssen.
Rodgau als Berufsstation war vor Jahrzehnten nicht der Wunschkandidat des jungen Pfarrers. Vielmehr wollte er nach Stationen als Kaplan in Lorsch und Darmstadt in einem Team in die Jugendarbeit nach Düsseldorf gehen. Kardinal Volk aber hatte Jügesheim für ihn ausgesucht. In einer Art trotziger Begeisterung schrieb Meissner damals dem Bischof, natürlich werde er selbst „auf den letzten Misthaufen in der Diözese gehen“, sofern er nur Priester sein dürfe und Menschen antreffe, mit denen es eine Perspektive gebe. In Rodgau war dies immer der Fall. Sonst wäre der gebürtige Offenbacher aus dem Stadtteil Bieber nicht so ungewöhnlich lange geblieben. Was hat ihn in all den Jahren immer so fest im Glauben gemacht? „Ist man immer fest?“, antwortete Meissner im letzten persönlichen Gespräch mit unsrer Zeitung fragend, um bescheiden nachzuschieben: „Bestimmt auch die Begegnung mit Menschen, die einem im Glauben voraus sind.“ Seiner Gemeinde wünschte er damals, dass sie „einen mutigen Weg weiter geht und sich nicht von Fehlentwicklungen anderer beeinflussen lässt.“ Dazu gehöre zuweilen „Widerstand gegen die Kirchenleitung“. Und das vielleicht in einer Art trotziger Begeisterung.