Rödermark: „Darf es ein bisschen weniger sein?“

„Darf‘s ein bisschen mehr sein?“, fragte die Metzgersfrau, bei der ich als Kind Fleisch und Wurst für die Familie einkaufen musste. Eine Antwort wartete sie erst gar nicht ab, sondern packte noch zwei Scheiben Wurst oder ein paar Brocken Gulasch obendrauf.
Rödermark - Klar, kleine Buben muckten in den späten Sechziger- oder frühen Siebzigerjahren zum einen nicht auf. Und zum anderen waren üppige Fleischportionen ein Zeichen des Wohlstandes. Verzicht kannte die Kriegsgeneration meiner Eltern lange genug.
Heute sieht man"s anders, weniger ist für viele mehr. Unter der rhetorischen Frage „Darf"s ein bisschen weniger sein?“ hat die Ober-Röder Ernährungsberaterin Ingrid Acker ein vielfältiges Ostermenü zusammengestellt. Der Nachtisch stammt aus der Ukraine und ist die verkleinerte Version eines süßen Hauptgerichts. „Machen Sie gern etwas mehr und teilen sie“, appelliert Ingrid Acker, Kontakt zu Menschen aufzunehmen, die der Krieg aus ihrer Heimat vertrieben hat. Sie sind seit Wochen zu dem Verzicht gezwungen, den wir Christen während der Fastenzeit freiwillig geübt haben.
An Ostern gibt es die Belohnung mit süßen Nestern, gut gefülltem Osterbrot und bunten Eiern. Das Ei ist in vielen Kulturen Symbol für Fruchtbarkeit und Glück. Im alten Christentum war es Symbol für die Auferstehung Jesu Christi: Die Schale ist kalt und wirkt tot, aus dem Inneren wächst jedoch neues Leben. Armenischen Christen waren die Ersten, die einander bemalte Eier als Zeichen dieses Lebens schenkten. In der Ukraine verzieren die Leute die Eier mit grafischen Mustern. Diese Batiktechnik nennt man „Pysanka“, die „Geschriebene“.
„Denke ich an die Ostergeschenke, die ich als Kind gesucht habe, dann ist das wenig: ein Osternest von den Eltern, ein etwas Kleineres von der einen Oma und das gefüllte, aufwendig geschmückte Osterei von der anderen“, blickt Ingrid Acker auf ein traditionelles Fest zurück. Und die die hart gekochten Eier, die die Kinder aus ihren Verstecken holten, bestimmten die Speisekarte. So gab es in der Woche nach Ostern nicht nur bei Familie Acker viele Ei-Gerichte. Nun liegt das mehr als 50 Jahre zurück. Das Angebot von damals ist nicht zu vergleichen mit dem Angebot von heute. Die Lage hat sich durch den Krieg mitten in Europa aber dramatisch geändert: Weizenmehl und Öle werden gehortet – zum Nachteil anderer und preistreibend für alle.
Auch deshalb steht über Ingrid Ackers Menü genau das Gegenteil, was die Metzgerin meiner Kindheit fragte. (Michael Löw)