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Rödermark: Die Backen dick aufblasen? Denkste!

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Von: Michael Löw

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Francisco Hitzel, einer der besten Trompeter Rödermarks, hat mit viel Geduld versucht, mir die richtigen Töne beizubringen. Mit gutem Willen kann man das, was ich dem Instrument entlocke, als C erkennen.
Francisco Hitzel, einer der besten Trompeter Rödermarks, hat mit viel Geduld versucht, mir die richtigen Töne beizubringen. Mit gutem Willen kann man das, was ich dem Instrument entlocke, als C erkennen. © Sascha Eyssen

Der eigene Beruf ist Alltag. Doch wie fühlt es sich an, sich auf völlig fremdem Gebiet zu tummeln oder auch ein neues Hobby zu testen? Die Redaktion probiert’s aus.

Rödermark – Dass ich durch und durch unmusikalisch bin, hat mir Uta Endrigkeit, die inzwischen verstorbene Vorsitzende der Musikgemeine Rödermark, bestätigt. Mitte der Siebzigerjahre war die Oberstudienrätin Musiklehrerin am Seligenstädter Einhard-Gymnasium und schrieb mir stets eine Vier ins Zeugnis. Aber auch nur, weil mein Wissen über Lebensdaten und bekannte Werke vom Mozart & Co. Schlimmeres verhindert hatte.

Was also lag näher, die Frage „Kann ich das?“ einem der profiliertesten Musiker Rödermarks zu stellen? Francisco Hitzel, Besitzer einer Trompete mit Goldauflage, Bläser in mehreren Orchestern und Big Bands und seit einigen Monaten Vorsitzender des Musikvereins 03 Ober-Roden, nimmt die Herausforderung an: 60 Minuten, um mir erste Flöten-, pardon: Trompetentöne, beizubringen.

Wir treffen uns im „Dinjerhof“, wo er auch sonst Unterricht gibt. Meine Sorge: Kann er sich dort noch blicken lassen, wenn er mit mir durch ist? Ums vorwegzunehmen – Francisco Hitzel ist dort weiter wohl gelitten. Und gar zu dumm habe ich mich auch nicht angestellt.

Zuerst aber bin ich geplättet, als er mir das Instrument in die Hand drückt, auf dem ich lernen soll. „Als ich vor 44 Jahren anfing, Trompete zu spielen, war das das Topmodel“, stellt er das glänzende Produkt aus dem Hause Heribert Grössl/Rüsselsheim vor. Klein-Francisco hat das Geld mit Zeitungsaustragen verdient.

Heute spielt er die Grössl, wenn der Musikverein 03 bei Festzügen mitmarschiert. Sie laufe nach all den Jahren immer noch sehr gut. Der Satz weckt bei mir Erinnerungen an eine Maschine. Die drei Ventile der Trompete bewegen sich tatsächlich auf und ab wie die Zylinder im Automotor, bestätigt der Fachmann. Und noch ein bisschen Instrumentenkunde: Das Corpus ist aus Messing, Rohre und Stimmzug sind vernickelt, das Mundstück besteht aus Silber.

In dieses vielleicht zehn Zentimeter kurze Stück Metall soll ich nun hineinpusten – ganz ohne die Resttrompete. Die Oberlippe muss gespannt wie eine Gitarrensaite sein, dann erzeugt sie den Ton. Aus meinen sofort dick aufgeblasenen Backen indes lässt Francisco Hitzel die Luft schnell wieder raus. Ich muss mit breitem Lächeln ganz sanft einen imaginären Fussel aus dem Mund pusten.

Ich befürchte schon, dass dieses Lächeln nie mehr aus meinem Gesicht verschwindet, dann darf ich endlich an die Trompete. Unzählige weggepustete Fusseln später erklingt der erste Ton. Mein Lehrer identifiziert ihn als Note C – „aber sehr hoch!“ Mir egal, ich reiße den Arm hoch. Ganze 25 Minuten hat’s gedauert, Triumph!

Francisco Hitzel holt mich schnurstracks auf den Boden zurück. Das D, nur eine Note tiefer, ist das nächste Ziel. Um das zu spielen, darf ich die Ventile drücken. Heraus kommen wirklich verschieden klingende Geräusche, darunter das geforderte D. Gar nicht so übel. Zumal Francisco Hitzel auf seiner Trompete mit perfekt gespielten Tönen einen wohlwollenden Klangteppich drüber legt.

Aber der übt und spielt auch schon seit 44 Jahren. Wäre er Fußballer, wäre er ein Führungsspieler, sagt er. Nicht gerade beim FC Bayern oder der Eintracht, aber immerhin bei Kickers Offenbach. Zwei Stunden trainiert er jeden Tag. Notfalls auch in der drei Grad kalten Scheune des „Dinjerhofs“. Dorthin weicht er aus, um seine Frau daheim nicht beim Arbeiten oder ihren Klavierstunden zu stören.

Die für die Spannung der Oberlippe so wichtigen Lachmuskeln bauen sich übrigens schon 23 Stunden nach dem letzten Üben ab. Außer täglichem Trompeten hilft der Löffel-im-Mund-Trick. Anfänger versuchen, einen Teelöffel nur mit den Lippen waagrecht zu halten. Meiner rutscht nach gut zehn Sekunden raus. Francisco Hitzel hält einen Esslöffel eine Minute lang vorm Mund.

Sein Geld verdient er mit Musik, allerdings nicht mit einem Instrument. Hitzel ist Toningenieur beim Hessischen Rundfunk. Er sorgt für den richtigen Sound, wenn das Symphonieorchester oder die Big Band des Senders auftreten. Die HR-Big Band gilt als eine der Besten ihres Genres in Europa.

Die Trompete kommt übrigens aus dem Militär. Soldaten, die Städte bewachten, bliesen damit Alarm. Hätte ich vor 300 oder 400 Jahren auf einem Turm gestanden und Alarm gegeben, wäre der Feind garantiert abgerückt: Wenn die Trompete schon so kläglich klingt, kann hinter den Mauern nichts zu holen sein. (Michael Löw)

Noten lesen? Gar nach ihnen spielen? Da habe ich mich ja auf was eingelassen.
Noten lesen? Gar nach ihnen spielen? Da habe ich mich ja auf was eingelassen. © Eyssen
Von wegen Dicke-Backen-Musik: Selbige werden zu einem breiten Lächeln gezogen und nicht – wie man sich das als Laie denkt – aufgeblasen.
Von wegen Dicke-Backen-Musik: Selbige werden zu einem breiten Lächeln gezogen und nicht – wie man sich das als Laie denkt – aufgeblasen. © -
Erster Triumph nach nur 25 Minuten.
Erster Triumph nach nur 25 Minuten. © -

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