Rödermark: Enttäuscht von Politik und Ämtern

Anna Ademoski hat drei Familienmitglieder, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchteten, daheim in Rödermark-Urberach aufgenommen. Für den Opa wurde ein Extra-Pflegezimmer abgetrennt. Sie kritisiert aber mangelnde staatliche Unterstützung.
Rödermark – Der russische Angriff auf die Ukraine zeigt seine Folgen auch in der Erich-Kästner-Straße. Der Haushalt von Feti und Anna Ademoski und ihren zwei Kindern ist auf einen Schlag gewachsen: Seither wohnen Viktor Lysenko (82), der Großvater der ukrainischstämmigen Anna, sowie ihre Cousine Iryna Tsvituk (33) und deren 16-monatige Tochter Oleksandra Pylypchuk bei der Familie. Das Paar hilft, wo es kann, bemängelt aber auch die staatliche Unterstützung.
Zeitweise waren sie sogar zu neunt im Haus. „Eine weitere Cousine und ihr Vater waren im März für drei Wochen ebenfalls bei uns, sind inzwischen aber wieder auf der Rückreise“, sagt Anna Ademoski. Grund: Beide sind Beamte und dürfen ihr Land nicht dauerhaft verlassen, weil die Staatsbediensteten die Infrastruktur auch im Krieg so gut wie möglich aufrecht erhalten sollen.
Cousine Iryna Tsvituk ist Grundschullehrerin, momentan in Elternzeit, und gedanklich noch längst nicht in Urberach angekommen. „Wir sind Anfang März mit zwei Autos an die polnisch-ukrainische Grenze gefahren, ziemlich kopflos“, schaut Feti Ademoski zurück. Der Bauunternehmer, dessen Wurzeln in Nordmazedonien liegen, gibt zu, dass die Kriegsentwicklung neue Fakten geschaffen hat: „Der Plan war am Anfang, dass sie für zwei Wochen zu uns kommen, bis sich die Lage beruhigt.“
An eine schnelle Rückkehr ist nicht mehr zu denken, gerade mit Blick auf Viktor Lysenko. „Er ist pflegebedürftig. Ich wüsste nicht mal, wie wir Opa derzeit wieder nach Hause bringen sollten.“ Schon die Flucht sei für den 82-Jährigen ein fast unzumutbarer Kraftakt gewesen, „er kann in diesem Alter nicht mehr stundenlang an der Grenze in der Kälte stehen“. In der Ukraine zu bleiben, sei aber auch keine Option gewesen, „er kann sich selbst nicht mehr in Sicherheit bringen“.
Für Lehrerin Tsvituk ist die Rückkehr derzeit noch alternativlos, sagt Anna Ademoski. „Es ist gar nicht in ihren Gedanken, dass ihre Tochter und sie dauerhaft hierbleiben.“ Zumal ihr Mann, im zivilen Leben Angestellter, die Heimat gerade unter Lebensgefahr verteidigt. „Sie gehören dort der Mittelschicht an, führen ein ganz normales Leben“, schildert Ademoski den Bruch. Normalität, die sie sich zurückwünschen in ihrer Heimatstadt im ukrainischen Westen.
Selbst eine eigene Wohnung in der Fremde würde dies nicht ändern, meint Anna Ademoski – im Gegenteil: „Wenn ich Iryna jetzt sage, geht in eine Wohnung, ist das dasselbe, wie wenn ich ihnen die Koffer vor die Tür stelle.“ Stattdessen schlafen ihr Mann und sie im durchaus großen, nun aber zu kleinen Haus mit beiden Kindern in einem Zimmer. „Und Opa konnten wir in seinem Zustand ja nicht auf die Couch schicken“, schildert Feti Ademoski das nächste Problem. Mitarbeiter seiner Firma trennten binnen drei Tagen einen Teil des Wohnzimmers für ein Extrazimmer ab.
Dort steht jetzt ein Pflegebett, täglich kommt der Pflegedienst. All dies geschieht bislang komplett auf Kosten der Familie. Nicht nur hier setzen die Ademoskis ihre Kritik an; sie sehen eine starke Diskrepanz zwischen Hilfsversprechen der deutschen Politik und Behörden und der tatsächlich (nicht) erfahrenen Unterstützung. Eine Anmeldung der drei Flüchtlinge bei der Stadt Rödermark sei wegen der Erlaubnis eines dreimonatigen „touristischen“ Aufenthalts nicht nötig gewesen – besser: nicht möglich.
Bisher konnten sie die Gesundheit von Cousine und Töchterchen sowie des Seniors hierzulande nicht versichern. Die ukrainische Versicherung bezahlt die Pflegeleistungen für den Großvater nicht. Beim Versuch, für ihn eine Reiseversicherung abzuschließen, kanzelte ein Anbieter die Familie Ademoski gar mit der „Ansage von oben“ ab, „keine Ukrainer zu versichern“.
Die Ausländerbehörde des Kreises hat den Ademoskis und ihren drei Gästen inzwischen einen Termin gegeben; jedoch erst für den 18. Mai. „Das ist in einer solchen Situation zu spät“, finden der Unternehmer und seine Frau. Auch eine Versicherung nach dem Asylrecht sei bisher nicht zustande gekommen. Schriftlich wurde die Familie zwar aufs Asylbewerberleistungs-Gesetz und die Möglichkeit, dort Leistungen für die drei Ukrainer zu beantragen, verwiesen. „Auf diverse E-Mails haben wir aber keine Rückmeldung erhalten“, klagt Anna Ademoski. Rhetorisch fragen sie sich, „was wohl die Menschen machen, die derzeit Ukrainer bei sich aufgenommen haben und es sich nicht leisten können, alles vorzufinanzieren“.
Den Kopf in den Sand gesteckt hat die Urberacherin freilich nicht. „Ich muss meinem Land helfen, sonst würde ich es mir nie verzeihen“, beschreibt sie, weshalb man tief in die Tasche greift und sie speziell den frustrierenden Kampf mit der Bürokratie nicht aufgibt.
Ihr Einsatz reicht über die Familie hinaus. Gerade haben ihr Mann und sie mit einem Verein in Wiesbaden Hilfsgüter für das Krankenhaus in Kamenez-Podolski (Annas Heimatstadt) und eine Kiewer Vorstadt gesammelt. Neben Erste-Hilfe-Sets schickte der auch Feuerwehr-Equipment, das die Brandschützer im Otzberger Ortsteil Lengfeld spendierten. Der voll beladene Siebeneinhalb-Tonner ist inzwischen gut angekommen, „auf direktem Weg, was die Gefahr vermeidet, dass im Zwischenlager etwas abgegriffen wird“. Der Transport gelang übrigens „mit Hilfe eines mutigen russischen Fahrers aus dem Saarland - vielleicht der einzige Russe, der in den letzten Tagen legal durch die vielen Kontrollen in die Ukraine gekommen ist“. (Jens Dörr)
