Rödermark: Früh gewollt, spät gedurft

Peter Knapp ist der „Herschwerth“ in Rödermark-Urberach, und auf das kleine „h“ im Namen legt er großen Wert. Er tut"s aus zwei Gründen: Im späten 18. Jahrhundert schrieb man den Wirt mit besagtem „h“ am Ende. Also behielt Knapp den Buchstaben schon der Tradition wegen. Grund Nummer zwei ist ein ganz moderner: „Damit unterscheiden wir uns bei den Internet-Suchmaschinen von den vielen ,Hirsch-Wirten" landauf, landab! Es ist unser Alleinstellungsmerkmal.“
Rödermark - Der 56-Jährige ist Innenarchitekt und Wirt von Beruf, Letzteres erst seit 2013. Damals starb sein Bruder Michael. Die Familie fragte sich, wie es mit der Metzgerei neben der St. Gallus-Kirche weitergeht. Peter Knapp sprang ein. Er beließ es aber nicht beim Verkauf von Fleisch und Wurst, sondern reaktivierte den „Herschwerth“. Fortan hießen Haus und Hausherr so. Erstmals erwähnt wurde der „Herschwerth“ 1773. Doch der Hobbyhistoriker und Heimatkundler nimmt an, dass das Gasthaus noch älter ist.
Fast 200 Jahre lang war in dem stattlichen Haus Platz für Metzgerei und Wirtschaft. 1962 entschloss sich Peter Knapps Mutter Hiltrud, die Metzgerei zu vergrößern, um sich gegen die seinerzeit zahlreiche Konkurrenz zu behaupten. 2013 erfüllte sich Peter Knapp notgedrungen einen Traum und machte den „Herschwerth“ zum Mittagstisch sowie für Veranstaltungen des Heimat- und Geschichtsvereins an Kerb oder am Nikolausmarkt wieder auf. Schon als Kind habe er Bilder des Hauses gemalt, an dem das Schild mit dem Hirschen hing.
Diese künstlerische Ader war auch der Grund, warum Peter Knapp erst im zweiten Anlauf zum „Herschwerth“ wurde. Denn sein Vater wollte, dass der jüngste Sohn studiert: „Bei deinem Zeichentalent kannst du dein Geld leichter verdienen“, lautete die klare Ansage, die der Filius brav umsetzte.
Als Innenarchitekt erledigt(e) Peter Knapp Umbauten, an die sich andere Kollegen nicht trauen. Fast immer hatte er die Geschichte der Gebäude im Hinterkopf. Auch der Geschichte des eigenen Hauses ging er auf die Spur. In dem Anwesen am „Dalles“ lebten Menschen, die sich fürs Gemeinwohl engagiert haben. Etliche Vorfahren von Peter Knapp waren Ortsschöffen, einer war sogar Bürgermeister. Und zu allen Kriegszeiten waren dort Offiziere einquartiert.
Ein Zahlmeister aus dem Heer Napoleons wurde die Hälfte seines Budgets, das für Kost und Logis bestimmt war, beim „Herschwerth“ los. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente er als Casino der US-Army.
Auch das riesige Hirschgeweih, das seit Weihnachten im Treppenhaus hängt, stammt aus Amerika. Ein New Yorker, den der Goldrausch 1850 nach Kalifornien gelockt hatte, erlegte den Zwölfender, präparierte das Geweih und setzte es einem lebendig wirkenden Holzkopf auf. Im Naturkundemuseum von San Francisco überstand die Trophäe das verheerende Erdbeben von 1906. Ein Enkel des Jägers nahm sie während des Zweiten Weltkriegs mit nach Deutschland, lernte in Wiesbaden eine Ober-Röderin kennen, deren Sohn das gute Stück vor ein paar Monaten dem Ur-Urberacher Peter Knapp schenkte. Der „Herschwerth“ kam also auf verschlungenen Wegen zum Hirschgeweih. Den endgültigen Platz dafür sucht Knapp noch. Wer ihn kennt, weiß: Der Zwölfender fristet nicht lange ein Schattendasein. (Michael Löw)