Gebibbert auf der Straße des Todes

Es war eine ebenso spannende wie widersprüchliche Zeit, in der Michael Krug aus Rödermark und seine Freunde 1987 durch Südamerika reisten. In Bolivien ließ einer von ihnen die Fototasche stehen – freundliche Menschen trugen sie ihnen nach und wollten nicht mal Finderlohn. In Peru wurden Mitreisende mit dem Messer überfallen, obwohl wegen des Terrors der Guerilla-Gruppe „Leuchtender Pfad“ die Straßen voller Soldaten waren. Doch das schreckte die Gauner kein bisschen.
Rödermark - Michael Krug, der seit 2003 im Breidert wohnt, besuchte die Anden-Staaten nicht nur wegen ihrer kulturellen Schätze oder den atemberaubenden Landschaften. Er war mit den Hobbyfußballern der Lufthansa unterwegs, die sich Kollegen der bolivianischen Fluglinie zu einem Spiel verabredet hatten.
An die Gepäckausgabe auf dem Flughafen von La Paz wird sich Krug wohl ein Leben lang erinnern: Aus einem Loch in einer Wand, knapp eineinhalb Meter überm Boden, fielen die Koffer auf das nur zehn Meter kurze Förderband. „Ich wollte wissen, wie denn die Technik hinter dem Loch aussah und staunte nicht schlecht, als ich Flughafenmitarbeiter mit einem Koffer auf dem gebückten Rücken herantreten sah“, erzählt er. Der wahrscheinlich Diensthöhere schob das Gepäck dann vom krummen Buckel seines Kollegen mühelos durch das Loch.
Vom La Paz in 4 061 Metern Höhe flogen die Deutschen nach Cochabamba auf nur noch 2 548 Metern. In der nahezu voll besetzten B707 wurden sie extra begrüßt und waren total überrascht, als der Pilot nach der Landung alle Passagiere außer dem „German Airlines Football Team“ bat, sitzen zu bleiben. Die Ehrengäste stiegen als Erste aus, und an der Tür trauten sie ihren Augen kaum: Am Ende der Fluggasttreppe war ein loter Teppich ausgerollt, links und rechts daneben schwenkten Menschen deutsche und bolivianische Fähnchen. Wie sich später herausstellte, waren das Angestellte der Lloyd Aereo Boliviano, die dafür frei bekommen hatten.
Die Hobbykicker spielten im riesigen Stadion Jorge Wildermann vor mehreren hundert Zuschauern, aufgeteilt in die Fangruppen Lloyd Aereo Boliviano und Deutschland. „Ich weiß nicht mehr, ob wir das Spiel gewonnen oder verloren haben. Es war auch egal, da das Erlebnis selber so viel größer war“, konzentriert sich Michael Krug aufs Wesentliche. Auch die Feier sei voller unvergesslicher Momente gewesen.
Ebenfalls unvergesslich – aber in anderer Hinsicht – waren Busfahrten im Gebirge. Eine Tour führte über den „Camino de la Muerte“ – die Straße des Todes. Sie ist 65 Kilometer lang in den Fels gehauen. Ohne Leitplanken und oft so schmal, dass keine zwei Autos aneinander vorbei passen. Michael Krug machte einen Riesenfehler: „Da ich immer gerne fremde Landschaften anschaue, habe ich mich hinten an das Fenster auf der linken Seite gesetzt. Ich weiß nicht, wie oft einer der hinteren Zwillingsreifen lose über dem Abgrund hing, und der Bus nur noch auf dem zweiten Reifen in der Kurve hielt.“
Gegrilltes Meerschweinchen an Marktständen, die legendäre Inka-Festung Machu, der Titicacasee fast 4 000 Meter über dem Meer – der seit knapp einem Jahr pensionierte Airliner hat viel zu erzählen. Wichtiger als touristischen Klassiker war ihm eine Zugfahrt: Statt des luxuriösen „Tren Titicaca“ nahmen die Hobbyfußballer den normalen Zug. Die Sitze wurden mehrfach verkauft und nicht nur von den Passagieren belagert. Auch das Vieh, das die Leute zum Markt brachten, wuselte im Dritte-Klasse-Waggon durcheinander.
Krugs Fazit: „Und wie zuvor die Busfahrt auf dem ,Camino de la Muerte" die schlimmste Busfahrt meines Lebens war, so waren die zwölf Stunden von Puno nach Cuzco nicht nur die schönste Zugfahrt meines Lebens: Es war eines der schönsten Erlebnisse meines Lebens.“ Ihn beeindruckte die Unbekümmertheit der Menschen, die im Vergleich zu uns nichts haben, das Strahlen in deren Augen, die Unberührtheit und Schönheit der vorbeiziehenden Natur, der Tagesanbruch, die Stopps an den Bahnhöfen. Männer, Frauen und Kinder mit Tabletts voller Früchte, Essen, Süßigkeiten oder Getränken auf dem Kopf stiegen vorne in das Abteil ein, versuchten ihre Ware an den Kunden zu bringen und stiegen hinten wieder aus. Oder sie sprangen ab, wenn sie soviel verkaufen konnten, dass der Zug schon wieder angefahren war. Die Bauern unterbrachen die Arbeit und winkten dem Zug zu. Die Leute und ihre Energie haben Michael Krug dazu veranlasst, die Hälfte der Strecke auf dem Trittbrett des Waggons zu verbringen. Er wollte sich von diesem Zauber aus möglichst kurzer Distanz gefangen halten lassen. (Michael Löw)
