Spielen bis der Computer glüht

Ober-Roden - Die Evangelische Kirchengemeinde macht Computerspielers Träume wahr: ein Wochenende Dauerdaddeln ohne mahnend erhobenen Zeigefinger. Das „Gockel Gaming“ hat"s möglich gemacht. Von Christine Ziesecke
Schlafenszeit von 3 Uhr nachts bis 9 Uhr morgens, dann an den Rechner setzen und bis zur nächsten Nacht um 3 Uhr wieder spielen, spielen, spielen - davon träumen viele Jugendliche nicht nur in den Ferien. Im evangelischen Gemeindehaus saßen 31 Jugendliche drei Tage an ihren Rechnern. Die Mischung reichte von ganz jung (14 ist das Eingangsalter fürs „Gockel Gaming“) bis „gesetzter“, also schon um die 30. Diese Computer-Veteranen sind seit dem ersten „Gockel Gaming“ vor fast 13 Jahren dabei. „Die kommen auch alle immer wieder, weil"s hier so schön ist“, schmunzelt Mit-Organisator Alex Dutine. Und er hat nicht ganz unrecht, zumal sich in den vergangenen Jahren an diesen Partys vieler vernetzter Computerspieler so einiges geändert hat: „Seit wir jedes Mal ganz viele Meter Kabel verlegen und dank Marc Milde jedes Mal eine Antenne im Kirchturm eingerichtet kriegen und dank einer vernünftigen Internetverbindung vernetzt spielen können, ist es sehr viel kommunikativer geworden“, sagt Dutine. Einer der Renner auf den Rechnern war „League of Lessons“.
Bedingt durch viel Umstrukturierung in der Jugendarbeit war"s das erste lang ersehnte Spiel-Wochenende in diesem Jahr, und gelegentlich schaute auch Ex-Gemeindepädagoge Frank Daxer - der Vater der Idee und selbst begeisterter Spieler - vorbei. Jonas Berner, 17-jähriger Schüler, steht für die Teilnehmergeneration, die am Computer aufwuchs. Er wurde vor kurzem erst zum Kirchenvorsteher ernannt und kann sich nicht erinnern, seit wann er mit einem PC umgeht: „Ich hatte den schon sehr früh als Kind.“ Minderjährige brauchen fürs „Gockel Gaming“ die Unterschrift ihrer Eltern, und seit einigen Jahren sind auch die festen Schlafenszeiten selbstverständlich. Geschlafen wird irgendwie und irgendwo im Jugend- oder im Konferenzraum im Tiefgeschoss des Gemeindehauses. Früher gehen oder später kommen - alles kein Problem, schließlich sind hier Schüler, Studenten und junge Arbeitnehmer vertreten, die alle auch noch anderen Beschäftigungen nachgehen.
„Wir sind durchaus sehr interaktiv, kommunikativ, emotional und laut“, schmunzeln die Teamer, die immer wieder mit Vorurteilen vom Kaliber „allein im stillen Kämmerchen“ konfrontiert werden. Was das lange Wochenende widerlegt. Und die Kirchengemeinde? Sie spielt indirekt mit; die Jugendvertretung versorgt die Teilnehmer (unter denen auch zwei Mädchen sind, die keineswegs nur für die Quote dabei sind) mit Essen und Kuchen, und am superschwülen Freitag kam eine Dame vorbei und brachte einen Ventilator. Der tat vor allem abends gute Dienste, denn ab 22 Uhr müssen der Nachbarschaft zuliebe die Fenster geschlossen bleiben. Die mindestens 31 laufenden und heizenden Rechner im Gemeindesaal waren eine klimatische Herausforderung.
Beim zehnjährigen Bestehen des „Gockel Gaming“ formulierte es Frank Daxer so: „Jesus sagt uns: ‚Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen’. Neben all der Arbeit und Ernsthaftigkeit, die unser Leben bestimmt, brauchen wir Freiräume, wo wir wieder Kind sein dürfen, wo wir uns spielerisch bewegen können, wo wir die Sorgen des Alltags außen vor lassen.“ Daxer hat schon bei Rabindranath Tagore, dem Literatur-Nobelpreisträger 1913, Sympathien fürs „Gockel Gaming“ entdeckt. „Gott ehrt uns, wenn wir arbeiten, aber er liebt uns, wenn wir spielen“, drückt Tagore es in Anlehnung an das Jesuswort aus.
Weitere Infos: www.gockelgaming.de