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Rödermark: Groschen sammeln lohnt sich

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Das Opfer der alten Witwe im Markus-Evangelium symbolisiert den Hintergrund der beiden Opferstöcke, in die der langjährige Kollektenrechner Walter Stiefel ein gefundenes 10-Cent-Stück steckt.
Rödermark: Das Opfer der alten Witwe im Markus-Evangelium symbolisiert den Hintergrund der beiden Opferstöcke, in die der langjährige Kollektenrechner Walter Stiefel ein gefundenes 10-Cent-Stück steckt. © Christine Ziesecke

Der gleiche Job seit mehr als 40 Jahren und keinen Pfennig oder Cent Entlohnung – so etwas nennt man Ehrenamt in Reinkultur. 42 Jahre lang war Walter Stiefel Kollektenrechner der Evangelischen Kirchengemeinde Rödermark/Ober-Roden, und 42 Jahre lang hat er mindestens einmal wöchentlich – zumeist sonntags – den Weg zur Gustav-Adolf Kirche, zur Weidenkirche oder zur Kulturhalle genommen, um die Spendenscherflein der Gottesdienstbesucher abzuholen, die Münzen zu zählen, zu verwalten und bei der Bank einzuzahlen.

Rödermark - Das Ganze endet – wir sind ja in Deutschland – natürlich in einem aufwendigen Verbuchungssystem mit Statistiken, Jahresabrechnungen und vielem mehr. Kein großer Aufwand? Oh doch, und die Kollektenverwaltungsordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) nimmt das auch sehr ernst. Eine Kostprobe vom kirchlichen Amtsdeutsch? „Der Kollektenrechner ist sorgfältig auszuwählen. In der Regel wird ein Kirchenvorsteher oder ein anderes dazu geeignetes Gemeindeglied herangezogen. Das Kollektenrechneramt ist ein Ehrenamt. Da das Amt Opfergaben verwaltet, soll kein Ersatz persönlicher Aufwendungen stattfinden.“

Um welche Summen dreht es sich? „Das hängt immer stark von den Jahreszeiten und auch vom Wetter ab. Die niedrigsten Beträge nach einem normalen Sonntagsgottesdienst liegen unter 50 Euro; an Weihnachten in der Kulturhalle, wo stets zugunsten von „Brot für die Welt“ gesammelt wird, sind es auch mal 2 800 Euro“, nennt Walter Stiefel die ganze Bandbreite. Und er weiß auch genau, wie viel Geld schon durch seine Hände gewandert ist: eine dreiviertel Million – erst Mark, dann Euro.

Knöpfe oder Falschgeld hat Walter Stiefel übrigens nie gefunden. Ab und an lagen lediglich ein paar ausländische Münzen in der Kollekte. Und in all den Jahren wurde die Kollekte nur einmal gestohlen.

Über jeden Cent davon kann der Ehrenamtler noch heute Auskunft geben, zumal er auch für jenes Drittel der Kollekten, die für die Kirchengemeinde frei verfügbar sind, die Vorschläge macht. Die selbstverwalteten Kollektenteile kommen stets sozialen Einrichtungen oder spontanen Notfällen in Ober-Roden zugute. Die restlichen zwei Drittel sind von der EKHN vorgegeben und werden nur weitergeleitet.

Gibt"s auch Alternativen zu klingenden Münzen und knisternden Scheinen? Kollektenbons zum Beispiel minimieren den Bargeldumsatz. Aber in Ober-Roden werden sie seit Jahren nur schleppend angenommen. In den vergangenen Monaten wurde auch die Online-Kollekte aktuell: Meist sind es wie bei den weihnachtlichen Gottesdiensten für „Brot für die Welt“ QR-Codes, die eingeblendet sind und dann für Überweisungen genutzt werden können.

Walter Stiefel war entgegen der EKHN-Empfehlung nie im Kirchenvorstand, wurde aber von Willi Böllert als Kollektenrechner vorgeschlagen, nachdem sein Vorgänger Karl Post dieses Amt abgab. Der aus dem Saarland in den Siebzigerjahren nach Ober-Roden gekommene Walter Stiefel hat sein Leben lang mit Geld zu tun gehabt. Der Abteilungsleiter Rechnungswesen einer großen Frankfurter Baufirma bewegte einst beruflich schon mal milliardenschwere Jahresumsätze durch die Bücher.

Im Ehrenamt nun schrieb er 42 Jahre lang kleine Summen in die Bücher, stellte Spendenquittungen aus und kümmerte sich zudem um sämtliche Kollektengelder im ökumenischen Raum in Rödermark einschließlich der Weidenkirche sowie um die gesamte finanzielle Situation rund um die Stiftung „Lebens(t)räume“ der Evangelischen. Kirchengemeinde Ober-Roden und deren Vermögen. Diese Aufgabe hat der 83-jährige Walter Stiefel am 1. Januar an den Kirchenvorsteher Uwe Heckenthaler übergeben.

Er gönnt sich jetzt den Ruhestand. Doch als er für unser Foto zum Eingang der Kirche läuft, findet er auf den Treppenstufen ein 10-Cent-Stück und steckt es sofort in den „Klingelbeutel“, der vor ein paar Jahren in stabilem Metall neu gestaltet wurde. Die beiden rechts und links von der Tür befestigten Frauenfiguren, die Marietta Schmidt gestaltet hat, basieren auf der biblischen Geschichte der alten Frau im Tempel: Jesus sagt der Witwe, dass ihr kleiner Obolus mehr wert ist als die üppigen Spenden der Reichen.

Am 6. März wird Walter Stiefel, der für seine Arbeit auch die Ehrenamt-Urkunde der Stadt Rödermark bekommen hat, in der Gustav-Adolf-Kirche aus seiner unauffälligen, aber so wichtigen Aufgabe verabschiedet. (Christine Ziesecke=

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