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Rödermark: Heidenarbeit im Pfarrarchiv

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Von: Michael Löw

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Auch wenn die Lagerung aus Sicht von Archivaren mangelhaft war: Die Dokumente, die nach dem Kirchenbau vor 200 Jahren ins Pfarrarchiv wanderten, sind zur Freude von Pfarrer Klaus Gaebler und der Vorsitzenden des Heimat- und Geschichtsvereins, Patricia Lips, bestens erhalten.
Auch wenn die Lagerung aus Sicht von Archivaren mangelhaft war: Die Dokumente, die nach dem Kirchenbau vor 200 Jahren ins Pfarrarchiv wanderten, sind zur Freude von Pfarrer Klaus Gaebler und der Vorsitzenden des Heimat- und Geschichtsvereins, Patricia Lips, bestens erhalten. © Michael Löw

Zum 200. Weihetag ihrer Kirche haben die Katholiken aus Rödermark-Urberach eine Chronik erstellt. Sie durchforsteten im Pfarrarchiv mehrere Tausend Seiten.

Rödermark - Pfarrer Bauer, Lehrer Böffinger und Bürgermeister Mickler führten Anfang des 19. Jahrhunderts penibel – eigentlich müsste man sogar sagen: erbarmungslos – Buch über die Besitztümer der Urberacher Katholiken: In ihrem „Inventarium über die Kirchengeräthe zu Urberach“ listeten sie zum Beispiel einen „alten verlumpten und unbrauchbaren Trag-Himmel“ auf, unter dem an Fronleichnam das Allerheiligste durch die Gassen des Ortes getragen wurde.

Um Altartücher oder Weihwasserkessel war’s auch nicht besser bestellt.

Als klar war, dass die St. Gallus-Gemeinde zum 200. Weihetag ihrer Kirche eine Chronik herausgibt, war der Gang in das Archiv im Keller des Pfarrhauses unumgänglich. Und da holten Patricia Lips, die Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereins (HGV), und Pfarrer Klaus Gaebler auch Kuriositäten wie das „Inventarium“ aus dem Jahr 1829 ans Tageslicht. Patricia Lips stellte zu ihrem Leidwesen fest: „Tausende von Seiten und meist unsortiert!“ Trotzdem gelang dem Redaktionsteam, dem noch Wolf Müller, Ehrenbürgermeister Roland Kern, Matthias Hallmann und Rita Erlebach angehören, eine lückenlose und lesenswerte Chronik über den Kirchenbau und seine lange Vorgeschichte.

Der HGV hatte aus der Vergangenheit einige Informationen aus anderen Dokumenten zum Bau von St. Gallus. Manches kannte man auch vom Hörensagen. Allerdings hatten die Historiker nie einen Blick auf die Originale, die so manchen Schatz bargen. Dabei befassten sich die meisten Dokumente gar nicht mit dem Kirchenbau an sich, sondern mit sämtlichen Vorgängen in einer Pfarrgemeinde. Also hatten die Sichtung und Zuordnung zunächst Priorität.

Kirche und Kommune waren eine Einheit

„Sämtliche Vorgänge in einer Pfarrgemeinde“ bedeutete vor allem bis Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts einiges mehr als heute. Denn Kirche und Kommune waren weitgehend eine Einheit: ein Argument der Gemeinde Urberach, weshalb sie sich nach dem Bau der Kirche noch bis ins 20. Jahrhundert für Reparaturen und Anschaffungen verantwortlich fühlte. Ein typisches Beispiel war bis um 1870 die umfassende Zuständigkeit der Kirchen für das Schulwesen. Die füllt nun einen dicken Ordner im Pfarrarchiv. Aber auch die Aufzeichnung von Bevölkerungsstatistiken, Kinderimpfungen, Musterungen, Gerichts- und Strafsachen landete auf des Pfarrers Schreibtisch. Dokumentiert sind zudem Anordnungen für den Gottesdienst oder amtliche Verordnungen, die Pfarrer Bauer und seine Nachfolger von der Kanzel verkünden mussten.

Die ältesten Schriftstücke stammen etwa von 1740. Allerdings ist ihre Zahl im Vergleich zu später noch übersichtlich. Die Jahre 1800 bis 1850 bilden einen Schwerpunkt Das hatte zum einen mit dem Kirchenbau zu tun, zum andern aber auch mit der Person von Pfarrer Lorenz Bauer aus Ober-Roden, der für die Filialen Urberach und Messenhausen zuständig war. Denn erst 1842, also fast 20 Jahre nach der Weihe der Kirche, wurde Urberach zur eigenen Pfarrei erhoben.

Jener Pfarrer Bauer schrieb nahezu alles auf, was ihm auf dem Herzen lag. Er war sehr mitteilsam und vor allem ein engagierter Streiter für die Anliegen der Kirche und nicht zuletzt des Kirchenneubaus in Urberach. „Erfreulicherweise war seine Handschrift sauber und damit einigermaßen zu lesen, auch für die in Sütterlin ungeübten Aktiven des HGV, was man nicht von jedem Pfarrer in der weiteren Geschichte sagen kann“, lobt Patricia Lips den kommunikativen Gottesmann.

Bürokratie offenbarte verborgene Schätze

Die Chronisten haben gelernt: Wenn man sich fast ein Jahr lang mit den Dokumenten beschäftigt, kann man nach und nach die Schriften immer besser lesen und mit den unterschiedlichen Handschriften umgehen. Trotzdem konnten sie mangels Zeit nicht jedes Dokument bis in den letzten Buchstaben studieren, das hätte Jahre gedauert.

„Und wer glaubt, Bürokratie beherrscht erst seit heute unser Leben: Ein Blick in Pfarr- und Gemeindearchive kann schnell eines Besseren lehren“, schmunzelt die HGV-Vorsitzende über den Formalismus der alten Urberacher.

Von Michael Löw

Geistliches und Weltliches hat die Recherche für die Kirchenchronik zu Tage gefördert. Das „Handbuch bey Einweihung“ (oben) beschrieb in Latein, was Pfarrer Lorenz Bauer zu tun und zu beten hatte. Denn im April 1823 hatte die Diözese Mainz keinen Bischof, und Pfarrer Bauer nahm die sogenannte Benediktion vor.
Geistliches und Weltliches hat die Recherche für die Kirchenchronik zu Tage gefördert. Das „Handbuch bey Einweihung“ (oben) beschrieb in Latein, was Pfarrer Lorenz Bauer zu tun und zu beten hatte. Denn im April 1823 hatte die Diözese Mainz keinen Bischof, und Pfarrer Bauer nahm die sogenannte Benediktion vor. © Michael Löw

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