Rödermark: Loblied auf Großmutters Küche

Tierwohl und ein gutes Einkommen für Bauern machen viele Lebensmittel teurer. Das bereitet Menschen mit dünnem Geldbeutel Kummer. Ernährungsberaterin Ingrid Acker aus Rödermark zeigt, wie man mit wenig Euros und noch weniger Fleisch ein gutes Essen auf den Tisch bekommt.
Rödermark – Er habe sich Gedanken über gesundes Essen gemacht, erzählte ein 22-Jähriger, den Ingrid Acker auf einer Reise kennengelernt hatte. Sie hatte unterwegs geschildert, was eine Ernährungsberaterin so tut, und der junge Amerikaner, war ganz stolz, dass er ähnlich tickt: „Ich esse jeden Tag 400 Gramm Hühnchen!“ Ihr verschlug’s die Sprache.
Nun ja; in einem Land in dem ein Rindersteak unter 600 Gramm als Carpaccio verschrien ist, gelten 400 Gramm Huhn wohl wirklich als fast vegetarisch. Ingrid Acker dagegen hat gleich gerechnet: „Allein für diesen Mann müssen jedes Jahr 128 Hühnchen geschlachtet werden.“ Ein Graus für jemand wie sie, die vernünftige und nachhaltige Ernährung mehr oder minder mit dem Verzicht auf Fleisch und Wurst gleichsetzt.
Ingrid Acker verweist auf die Tierwohl-Initiative, die Bundesernährungsminister Cem Özdemir und seine Kollegin vom Ressort Landwirtschaft. Steffi Lembke, vor ein paar Tagen vorgestellt haben: weniger, viel weniger Fleisch, etwas mehr Geld für die Bauern. „Jetzt wird doch alles teurer, wenn alles nur noch bio ist“, bekommt das grüne Duo ständig zu hören. Das Schnitzel vom Discounter für 3,99 Euro je Kilo, des bewussten Essers liebstes Feindbild, soll von deutschen Tellern verschwinden. So lautet das quasi regierungsamtliche Rezept.
Ingrid Acker ist überzeugt, dass es das richtige ist. Denn Fleischproduktion treibt die Erderwärmung voran. Jeder, der seine Ernährung in Richtung vegetarisch umstellt, senkt den Ausstoß an Kohlendioxid. Ein Kompromiss ist ihrer Ansicht nach die Mischung aus 70 Prozent pflanzlicher und 30 Prozent tierischer Kost. Dazu zählt sie auch Eier, Milch und Käse. Wer so esse, reduziere seinen CO2-Ausstoß um 60 Prozent gegenüber einer fleischlastigen Ernährung. Und tut etwas gegen industrielle Tiermast mit Minikäfigen und massenhaft Antibiotika.
Dass der Verzicht auf Fleisch vom Discounter teurer ist, steht für Ingrid Acker außer Frage. „Können wir insgesamt bescheidener werden?“, überlegte sie, wie nachhaltige Ernährung und dünne Geldbeutel zueinander passen können. Ihre Antwort: der Kurs „Genießen mit dem Klima im Blick“ im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Er richtet sich an Menschen mit geringem Einkommen. Zwei vegetarische Tage pro Woche seien ein guter Einstieg ins bessere Leben.
Ingrid Acker fährt dabei zweigleisig. Großmutters Winterküche mit Rüben, Sellerie, Kohl und Feldsalat sowie den Eiweißlieferanten Nüsse war schon immer nachhaltig. Erst das Wirtschaftswunder machte den Braten zum Allerweltsessen. Als Ergänzung kocht Ingrid Acker nach indischen, arabischen oder russischen Rezepten mit traditionell viel Gemüse.
„Essen muss bodenständig sein!“, fordert sie Vegetarier und Veganer auf, die Fleischersatzprodukte der Industrie in den Regalen liegen zu lassen. Hektargroße Erbsenfelder für vegane Schnitzel seien schließlich auch keine Klimaretter.
Und noch einigen Zeitgeist-Produkten erteilt die Ober-Röder Ernährungsberaterin eine Absage. Quinoa oder Chiasamen lassen sich bestens durch Hirse und Leinsamen ersetzen. Vor allem aber gibt sie zu bedenken: Wird Quinoa zum Modegetreide für wohlhabende Europäer und Exportschlager, können die Menschen in Mittel- und Südamerika eines ihrer Hauptnahrungsmittel nicht mehr bezahlen. (Michael Löw)
