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Rödermark: Mancher Prozess geht unter die Haut

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Von: Michael Löw

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Mona Reusch
Mona Reusch © -

Mona Reusch aus Rödermark ist seit fast 20 Jahren Schöffin bei Strafprozessen – also eine Laienrichterin, die über Gefängnis oder Freiheit (mit)-entscheidet.

Schöffinnen und Schöffen haben keine juristische Ausbildung, sondern sprechen Recht „Im Namen des Volkes“. Mit diesen vier Worten beginnt in Deutschland jede Urteilsverkündung. Wir sprachen mit Mona Reusch, die seit 2001 in Kreistag, Stadtparlament und Magistrat engagiert ist, über das Amt einer Laienrichterin, das mitunter an die Nieren geht.

Seit wann sind Sie Schöffin? Und an welchem Gericht?

Ich bin seit 2004 zuerst am Amtsgericht, später am Landgericht Darmstadt tätig. Seit 2016 bin ich zusätzlich Schöffin am Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel.

Was war Ihre Motivation, das Amt einer Laienrichterin zu übernehmen?

Es ist mir persönlich sehr wichtig, ehrenamtlich tätig zu sein. So habe ich mein Tätigkeitsfeld im Stadtparlament Rödermark und im Kreistag gefunden. Die Tätigkeit als Schöffin habe ich bewusst vor dem Hintergrund gewählt, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

Schildern Sie unseren Lesern doch bitte einmal einen typischen Fall.

Fahrerflucht – das ist immer wieder ein Thema. Häufig sind auch Verhandlungen wegen Drogenbesitz. Beim Besitz von Marihuana, Crack und/oder Amphetaminen ist schnell ein Strafmaß jenseits von Bewährung gegeben. Da sind schnell mal drei bis dreieinhalb Jahre drin.

Welche Fälle sind Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben oder haben Sie vielleicht sogar aufgewühlt?

In Erinnerung ist mir ein Fall geblieben, bei dem es um Schwarzarbeit am Bau im großen Stil über viele Jahre ging. Dabei entstand ein Schaden von rund 14 Millionen Euro. Die Sache wurde viereinhalb Monate vor einer Großen Strafkammer mit drei Richtern und zwei Schöffen verhandelt. Seither habe ich großen Respekt vor den Schöffen im NSU-Prozess. Man stelle sich vor: Verhandlungen fast fünf Jahre bis zu drei Mal wöchentlich.

Zurück zum Thema Emotionalität oder Betroffenheit...

Unter die Haut ging mir der Fall einer jungen Frau wegen schwerer Vergewaltigung. Da der Angeklagte trotz eindeutiger Beweislage kein Geständnis ablegte und seinem Opfer somit die Teilnahme an der Verhandlung nicht ersparte, wurde dieses Verbrechen minutiös durch Gutachten und Aussagen aufgearbeitet. Für das Opfer war das ehr quälend. Zumal die Frau eine Woche nach der Tat versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Für mich bedrückend war der Umstand, dass die Familie nach der Vergewaltigung den Kontakt zu ihrer Tochter abgebrochen hat. Ein unglaublicher Vorgang.

Mal ehrlich: Haben Sie gelegentlich Angst, wenn Sie über einen tätowierten Zwei-Meter-Mann urteilen müssen, der wegen Körperverletzung angeklagt ist?

Ich habe mich tatsächlich einmal in einem Prozess, bei dem es um Drogenbesitz ging, bedroht gefühlt. Blicke und Gesten waren sehr bedrohlich. In solchen Momenten kann man sich an den Richter wenden.

Berufsrichter nehmen Schöffinnen und Schöffen ernst. Anwälte – das erlebe ich als Prozessberichterstatter selbst – schauen gelegentlich von oben auf die „Amateure“ herab. Ist Ihnen das auch schon passiert?

Vor vielen Jahren hatte ich genau dieses Gefühl. Ein Rechtsanwalt verteidigte einen Kollegen, der des Betrugs angeklagt war. Er stellte am dritten Verhandlungstag den Antrag, dass wir Schöffen die Anklageschrift und sonstige Unterlagen durchlesen müssen: „Damit Sie wissen, was Sie tun!“ So haben mein Schöffenkollege und ich erst einmal in den Räumen des Gerichts vier Tage Akten studiert.

Was ist der wichtigste Rat, den Sie einem neuen Schöffen mit auf seinen ersten Weg in den Gerichtssaal geben?

Jeder Schöffe sollte sich der Verantwortung der Urteilsfindung bewusst sein. Es geht um die persönliche Bewertung, die aus dem täglichen Leben in die juristische Sichtweise, also die Paragrafen, einfließt. Hier ist Neutralität das oberste Gebot.

Das Gespräch führte Michael Löw.

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