Rödermark: Mit Power und trotzdem vorsichtig

Der eigene Berufs ist Alltag. Doch wie fühlt es sich an, sich auf völlig fremdem Gebiet zu tummeln oder in eine ganz und gar ungewohnte Rolle zu schlüpfen? Die Redaktion hat’s probiert.
Rödermark – Eben war da noch Motorengebrumm und Wespengesumm, jetzt ist es gespenstisch ruhig. Die Bäume, die vor ein paar Sekunden noch vorbeihuschten, stehen unbewegt am Straßenrand. Dann kehrt die Erinnerung schlagartig zurück: quietschende Reifen, splitterndes Glas, knirschendes Blech. Ich habe nach dem blöden Insekt geschlagen und dabei das Lenkrad verrissen. Mein Ford gerät aus der Spur und prallt gegen ein entgegenkommendes Auto. Jetzt schmerzt der ganze Oberkörper, bewegen kann ich mich kaum. Hektisch telefonierende Leute wuseln um die beiden Fahrzeuge. Nach einer gefühlten Ewigkeit dringt das Heulen eines Martinshorns zu mir.
Frontalzusammenstoß bei Tempo 90 auf der Landstraße – eine Horrorvorstellung. Der Unfall selbst passierte nur in meiner Phantasie. Doch was danach geschieht, ist real. Das erste Feuerwehrauto trifft an der Unfallstelle – der Hof des Stützpunktes in der Kapellenstraße – ein und spuckt seine Besatzung aus. Das zweite Fahrzeug ist wenig später da. Während seine Leute die Straße absperren und Feuerlöscher bereithalten, falls die Batterie brennt, krabbelt Stadtbrandinspektor Herbert Weber auf den Rücksitz meines demolierten Kleinwagens. Dem Journalisten erklärt er beim Selbstversuch, dass Feuerwehrmänner und -frauen tagsüber meist vor dem Rettungsdienst am Ort des Geschehens sind. In Rödermark sichern hauptamtliche Kräfte die sogenannte Tageseinsatzbereitschaft.
„Hilfe ist jetzt da“, beruhigt Weber im Ernstfall den Verunglückten und fragt, wo es denn schmerzt. Um die Übung so schwer wie möglich zu machen, murmele ich nur „Mein Rücken, mein Rücken!“ Eine Information, die eine höchst sensible Rettungskette in Gang setzt. Und Weber erklärt weiter: Unterbauböcke verhindern, dass das Auto allzu heftig wackelt. Dann reicht ein Feuerwehrmann ein dickes Tuch hinein. Weber führt es um Rücken und Kopf zur Seitenscheibe: „Wir passen auf, dass Sie nicht durch Splitter noch mehr verletzt werden!“
Zwei Millimeter Stoff als Schutz vor berstendem Glas? Mir wird’s selbst beim Test flau im Magen. Dann zerbirst die Scheibe mit einem Riesenknall in Tausende Bröckchen, etliche rieseln an der Decke vorbei auf meinen Arm. Das also ist der Beginn der schonenden Rettung, die mein Ersthelfer angekündigt hat. Mittlerweile sind auch Notarzt oder Sanitäter im Auto und sprechen die Hilfe mit Weber ab. Aber nur, wenn’s wirklich gekracht hat. Für diese Übung wäre der Aufwand zu groß gewesen.
Pierre Beckmann und Alexander Stein setzen den Rettungsspreizer an den Dachholm. 22 Kilo wiegt das akkubetriebene Gerät, dessen scharfe Zangen mit mehr als 100 Tonnen Kraft zupacken. Trotz dieser Megapower dauert es an die 15 Sekunden, bis der Holm durch ist. Der Druck lässt den Kleinwagen beben. „Darum haben wir das Auto aufgebockt. Sonst wär’s noch viel schlimmer“, schiebt Weber eine weitere Beruhigungsspritze nach.
Säule für Säule zwicken die Helfer durch, dann können sie zu viert das Dach beiseite stellen. Birgit Weber schiebt von hinten ein Rettungsbrett zwischen Sitzlehne und meinen Rücken, Michael Horneck legt mir eine Halskrause um. Beim Verdacht auf eine Verletzung der Wirbelsäule ist höchste Vorsicht angesagt. Vorsichtig bugsieren die Feuerwehrleute mich nach oben. Der ganze Körper muss stabil liegen, dann erst hieven sie das Brett heraus – ohne Dach ist ja Platz genug.
„Der Verletzte wurde dem Rettungsdienst übergeben.“ Wie oft habe ich diesen Satz in 35 Berufsjahren geschrieben? Jetzt kann ich ungefähr, aber wirklich nur ganz ungefähr ahnen, was er bedeutet.
Ich hoffe, nie in einem Autowrack eingeklemmt zu sein. Doch das Wissen, wie professionell die Freiwilligen Feuerwehren hier helfen, beruhigt mich doch. Ein bisschen zumindest! Aber so richtig weicht meine Beklommenheit erst, als Herbert Weber mir verrät, was er – oder seine Kolleginnen und Kollegen – oft von nur leicht Verletzten, die eingeklemmt sind, zu hören bekommt: „Mein Auto, mein schönes Auto!“
Fortsetzung folgt
Ich habe für unsere Sommerserie schon als Un-Musiker Trompete gespielt und als Ex-Zivi scharf geschossen. Unfallopfer zu mimen, war die bisher eindrucksvollste Erfahrung. Und ein spektakulärer Selbstversuch folgt nach dem Urlaub. Mehr wird nicht verraten! (Michael Löw)


