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Mutige Flucht verhilft zu neuem Leben

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Freselam Etbarek und Haben Berihu Ukbu leben zufrieden und gerne hier.
Freselam Etbarek und Haben Berihu Ukbu leben zufrieden und gerne hier. © ziesecke

Zu ihrem vollständigen Glück fehlen nur noch einige Papiere. Ansonsten aber leben Freselam Etbarek und Haben Berihu Ukbu zufrieden und gerne in Rödermark. Beide flohen 2015 aus Eritrea nach Deutschland. Inzwischen sind sie bestens integriert.

Urberach – „Es gibt zur Zeit so viele schlimme und traurige Nachrichten bei euch in der Zeitung - möchtet ihr nicht auch einmal wieder etwas Positives?“ Das fragte Maria Baumeister-Holding, lange Zeit Mitglied im Netzwerk für Flüchtlinge, vor kurzem in der Redaktion an und hatte auch gleich einen Vorschlag: Ein augenfälliges Beispiel für gelingende Integration in dem Land, in dem Geflüchtete immer noch nicht den allerbesten Ruf genießen.

Das stimmt allerdings hier nur sehr bedingt: Es gibt wohl wenige Orte deutschlandweit, in denen Akzeptanz und Eingliederung geflüchteter Menschen so ruhig und unaufgeregt klappt wie hier in Rödermark.

Das bestätigen auch Freselam Etbarek und Haben Berihu Ukbu, die 2015 in Rödermark gelandet sind. Beide kommen aus Eritrea, haben sich aber erst in Deutschland kennen gelernt, obwohl sie eine sehr ähnliche Vorgeschichte haben. Was wie eine normale Einreise klingt, waren Monate voll panischer Angst für den heute 30-Jährigen und seine 27-jährige Frau.

„Aus politischen Gründen“, wegen fehlender Meinungsfreiheit, was sie nicht mehr ertragen haben und aus Angst um ihre Familien keine Möglichkeit hatten, ihre Meinung zu sagen, haben sie die Flucht gewagt. Ihre Familien leben noch in Eritrea; sie selbst werden wohl nie mehr dahin reisen können. Mit ihren Familien (beide haben fünf Geschwister), die in unterschiedlichen Dörfern wohnen, können sie sich höchstens in einem anderen Land treffen. Doch Freselams Mutter etwa hat ihre Papiere abgenommen bekommen. Sie wird das Land nicht verlassen können.

Beide waren zuhause fast fertig mit der Schule gewesen, als sie die Entscheidung zur Flucht getroffen haben. Zu Fuß im Stockdunkeln fünf Stunden bis zur ersten Grenze nach Äthiopien, dann aus einem Flüchtlingslager in Äthiopien über den Sudan, die Sahara und Lybien (wo sie schon allein zahlen mussten, um wieder aus dem Land zu kommen), haben sie irgendwann auf unsäglichen Wegen Italien erreicht.

Wenn ich gewusst hätte, was da Schlimmes auf uns zukommt, wäre ich wohl geblieben

Von Italien ging es immer noch auf verschlungenen Wegen nach Frankreich: „Die es vor uns schon geschafft hatten, haben uns Tipps gegeben“. Ende 2015 sind sie in Deutschland angekommen, er kurz vor ihr, doch er gibt unumwunden zu: „Wenn ich am Anfang der Flucht gewusst hätte, was da Schlimmes auf uns zukommt, wäre ich wohl geblieben.“

Haben landete in Saarbrücken, von wo es über das Aufnahmelager Gießen weiter ging; Freselem in Köln. Beide haben sie sofort Sprachkurse gemacht. Zunächst half ein dreimonatiger Deutschkurs im „SchillerHaus“, danach ging's bei der Volkshochschule Rödermark weiter.

Er fuhr zum Bildungswerk nach Darmstadt, über das seine Qualifizierungskurse finanziert wurden: „Man durchläuft viele Sparten und schaut sich an, was einem am besten liegt“. Nach einem Praktikum startete seine Einstiegsqualifizierung als KFZ-Mechaniker in Jügesheim, wo er in die Ausbildung übernommen wurde und anschließend ein Jahr mit festem Vertrag gearbeitet hat, ehe er ins Frankfurter Toyota Autohaus Nix wechselte, wo er völlig problemlos als geschätzter Kollege arbeitet.

Über eine Freundin, die aus seinem Dorf kommt, hatte sie ihn kennengelernt. „2017 haben wir entschieden zusammen zu bleiben.“ 2020 haben sie geheiratet, allerdings orthodox-kirchlich, denn für die rechtmäßige standesamtliche Trauung fehlen ihnen noch einige wenige Papiere: „Wir sind zwar anerkannte Flüchtlinge, aber wir können trotz aller Urkunden, die wir dabei haben, noch nicht alles nachweisen, was wir brauchen.“ So bleibt die ständige Unsicherheit – einziger Schwachpunkt aus ihrer Sicht, denn in manchen Regionen geht’s auch ohne diese fehlenden Papiere.

„Sie hat mich mit ihrer Fürsorge immer durch die Ausbildung begleitet

Freselam wollte Krankenschwester werden, was sie wegen fehlender Schulzeugnisse nicht konnte. Nach einem Praktikum bewarb sie sich für Förderung durch „Frauen aus Hessen mit Migrationshintergrund“: „Sie haben zwei Jahre lang Schule und Ausbildung bezahlt, dass ich die 9. und 10. Klasse nachholen konnte. Von 2019 bis Oktober 2022 machte ich die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeite jetzt im Höchster Klinikum im Schichtdienst.“

Als Haben noch im City-Hotel wohnte, kam Freselam bei Maria Baumeister-Holding vom Netzwerk für Flüchtlinge unter. „Sie hat mich mit ihrer Fürsorge immer durch die Ausbildung begleitet“, ist ihr Freselam unendlich dankbar. Dank ihrer Fürsprache bekamen die Beiden auch eine Wohnung in der Darmstädter Straße, ehe sie Ende 2018 in eines der Stadt gehörenden Häuser in der Wiesenstraße zogen. „Damit unterstützt die Stadt auch die Möglichkeit, in Ruhe zu lernen und die Ausbildung absolvieren zu können“, ergänzt Maria Baumeister-Holding, Patin und zugleich Mentorin der Beiden, als welche sie sich um ihre berufliche Sicherheit kümmert.

Dank guter Sprachkenntnisse können sich Beide gut integrieren: Er macht Krafttraining in Eppertshausen; sie hat zwei Jahre lang einen Schwimmkurs im Badehaus gemacht. Was sie sich wünschen: eine Wohnung, die näher am Ober-Röder Bahnhof liegt, denn die morgendlichen Fahrten zum Frühdienst nach Höchst sind ausgesprochen langwierig.

„Natürlich wollen wir gerne die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Ich zumindest habe schon alles vorbereitet“, erläutert Freselam. Noch muss ihre Aufenthaltsgenehmigung alle drei Jahre in Dietzenbach bei der Ausländerbehörde verlängert werden. Das nächste Mal 2024.

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