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Rödermark: Pfarrer musste mächtig drängeln

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Das älteste Foto der Gallus-Kirche stammt aus den Jahren zwischen 1856 und 1879 – genau weiß es niemand.
Das älteste Foto der Gallus-Kirche stammt aus den Jahren zwischen 1856 und 1879 – genau weiß es niemand. © -

200 Jahre ist es her, dass die St.Gallus-Kirche im heutigen Rödermark-Urberach geweiht wurde. Da der Bischofsstuhl in Mainz seinerzeit verwaist war, führte Pfarrer Lorenz Bauer am 17. April 1823 eine einfache Benediktion durch. Erst auf seine dringende Bitte hin hatte der Geistliche, der seit 1812 in Urberach Dienst tat, die Vollmacht und Hinweise zum Ablauf der erforderlichen Riten und Gebete aus Mainz erhalten. Es war nicht das erste Mal, dass er dem Bischöflichen Ordinariat Druck machte.

Rödermark - Die Urberacher Katholiken feiern den 200. Weihetag ihrer Kirche mit vielen Veranstaltungen. Am 25. Februar laden sie zu einer Nacht der offenen Kirche ein, am 2. März hält der Benediktinerpater Anselm Grün einen Vortrag, und kurz vorm Pfarrfest präsentiert Comedian Johannes Scherer seine besten Gags aus 20 Jahren. Die Liste lässt sich noch eine Weile fortsetzen.

Ganz wichtig ist der Gemeinde jedoch der Blick zurück. Vor knapp einem Jahr hat ein Redaktionsteam zusammen mit Mitgliedern des Heimat- und Geschichtsvereins (HGV) die Arbeiten zu einer Kirchenchronik begonnen. Matthias Hallmann, Rita Erlebach, Wolf Müller, Ehrenbürgermeister Roland Kern, Sebastian Popp, Herbert Schneider, Pfarrer Klaus Gaebler und Patricia Lips beleuchten die Kirchenhistorie, die auch ein großes Stück Ortshistorie ist. „Sie hat den größten Teil geschafft“, loben die Chronisten Patricia Lips, die Vorsitzende des HGV Rödermark. Die wiederum revanchiert sich mit dem Satz „So genau hat noch nie jemand die Kirchenstrukturen aufgearbeitet.“

Die Redaktion hat Archive in Mainz und Urberach nach großer Geschichte und kleinen Geschichten durchforstet. Viele Dokumente waren in Sütterlin geschrieben und mussten zunächst mühsam entziffert werden. Die älteste Urkunde ist eine Rechnung aus dem Jahr 1811. Zur Finanzierung waren bereits 1778 Stiftungen ins Leben gerufen worden. Die Eheleute Johann und Susanna Groh hatten testamentarisch verfügt, dass ihr gesamtes Vermögen dereinst für einen Kirchenbau verwendet werden soll. Neben „Capitalien“ und wohl einigen Feldgrundstücken handelte es sich dabei um eine Hofreite, die der Gemeinde vermacht wurde.

Parallel verfügten die Gemeindevertreter, dass die Erträge einer gemeindeeigenen Schäferei ebenfalls in eine Stiftung fließen sollten. Ein eigens bestellter Verwalter verlieh zudem Gelder aus den beiden Stiftungen gegen Zinsen an die Bürgerinnen und Bürger, um das Kapital zu vermehren. „Der Erfolg war zeitweise überschaubar“, heißt es dazu in der Chronik. Manches Mal war viel Mühe nötig, das verliehene Geld überhaupt wieder zurückzubekommen. Doch trotz aller Vorbereitungen geschah auch die folgenden Jahrzehnte nichts, was die Planung eines Neubaus beschleunigte.

Im Gegenteil: 1803 wurden sogar noch einmal neue Glocken für die Vorgängerkirche geweiht, die sich am Platz des heutigen Rathauses befand. Außerdem wurden Fenster und Türen repariert.

Aber dann ging alles recht schnell. Die alte Kirche war endgültig nicht mehr zu retten. Am 16. Januar 1813 stellte Hofrat Machenauer von der Grafschaft Dreieich fest: „Die äußerst dringende Notwendigkeit eines neuen Kirchenbaues ist – und war schon vor 40 Jahren – außer Zweifel.“ Das alte Gotteshaus wird 1819 abgerissen – „wegen geradezu lebensgefährlicher Baufälligkeit.“

Der großherzogliche Baumeister Georg Moller wurde mit den Planungen betraut. Die St. Gallus-Kirche gehört zu einer ganzen Gruppe von Moller-Bauten in Südhessen; der nächste ist St. Sebastian Eppertshausen.

Schon der Grundsteinlegung am 30. September 1821 war ein reger Schriftverkehr mit dem Bischöflichen Ordinariat vorausgegangen. Die Urberacher mussten sich sprichwörtlich alles absegnen lassen. So erhielt Pfarrer Bauer die Erlaubnis, das Wasser für die Zeremonie selbst zu segnen, weil kein vom Bischof persönlich geweihtes Wasser zur Verfügung stand.

Das Material, das die Chronisten zusammengetragen haben, füllt mittlerweile fast 200 überaus lesenswerte Seiten. Vielleicht werden"s noch mehr. „Ich ertrinke in Fotos, Texten und kleinen Beiträgen“, weiß Matthias Hallmann schon nicht mehr, wohin mit dem ganzen Material. Auf jeden Fall soll die Chronik vorm 17. April, dem Weihetag, veröffentlicht werden.

Vor 200 Jahren bekamen die Urberacher zwar eine neue Kirche, wurden aber noch keine eigenständige Pfarrei. Um im Bild von Pfarrer Lorenz Bauer zu bleiben: Bis 1842 mussten sie sich alles von der Mutterkirche St. Nazarius Ober-Roden absegnen lassen. (Michael Löw)

Wolf Müller, Roland Kern, Rita Erlebach und Matthias Hallmann gehören zum großen Team, das die Chronik zusammenstellte.
Wolf Müller, Roland Kern, Rita Erlebach und Matthias Hallmann gehören zum großen Team, das die Chronik zusammenstellte. © Löw
Ehrendamen begleiten 1951 den Zug der neuen Glocken. Ihre Vorgänger wurden während des Krieges beschlagnahmt.
Ehrendamen begleiten 1951 den Zug der neuen Glocken. Ihre Vorgänger wurden während des Krieges beschlagnahmt. © Chronik St. Gallus

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