Rödermark: Sonderschicht im Corona-Kampf

In der Pandemie überwiegen seit Wochen die schlechten Nachrichten: steigende Inzidenzen, Verwirrung um die Verfügbarkeit von Impfstoffen, die neue Variante Omikron. Fachleute setzen große Hoffnung auf Auffrisch-Impfungen. Die Internistische Gemeinschaftspraxis im Breidert in Rödermark kann am Samstag 150 Patienten innerhalb weniger Stunden boostern.
Rödermark – Die Corona-Zahlen schießen – von der kleinen Atempause gestern und am Dienstag abgesehen – in immer neue Rekordhöhen. Viele Leute wollen boostern, aber den niedergelassenen Ärzten fehlt’s an Stoff für die ersehnte dritte Impfung. Und nicht nur für die. Gestern sprach einer ihrer hessischen Spitzenvertreter Klartext in Richtung Politik: „Das ist eine beschissene Situation!“
Dr. Alexander Loytved und seine Kolleginnen Dr. Verena Dienstbach und Dr. Carmen Löhr haben vorgesorgt und können am Samstag 150 Dosen Biontech oder Moderna spritzen. Ab 9 Uhr legen die drei Mediziner, ihre Ehefrauen und -männer und die medizinische Fachangestellte Danijela Dujic in der Internistischen Gemeinschaftspraxis im Breidertring 104 eine Sonderschicht ein. Ein Glücksfall: In Frankfurt werden mangels Vakzinen die Extra-Impfungen zurückgefahren.
Mit diesem Termin verfolgen sie zwei Ziele: Wer am zweiten Advent zum Boostern kommt, hat an Weihnachten eine ausreichende Immunität. Außerdem sind 150 Impfungen während des normalen Praxisbetriebs nicht zu stemmen, das würde zulasten der übrigen Patienten gehen. Dr. Alexander Loytved: „Hierfür investieren wir gerne unsere Freizeit.“ Das Interesse übersteigt die Impfdosen, es gibt mittlerweile eine Warteliste. Knapp ein Dutzend Patienten will eine Erst- oder Zweitimpfung.
Jedem der drei Ärzte stehen 30 Portionen Biontech zur Verfügung - der Deutschen liebster Impfstoff. Die übrigen 60 Dosen sind von Moderna. „Es ist unser Kampf, die Patienten von Moderna zu überzeugen. Wir korrigieren hier vor Ort die Fehler der Politik“, kritisiert Loytved diverse Aussagen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch recht höflich. Der hat die Leute in den vergangenen Wochen sehr verunsichert und versuchte dann, mit dem Vergleich „Biontech ist der Mercedes, Moderna der Rolls-Royce.“ zu retten, was zu retten ist. Dabei kommt es allein auf das Boostern mit einem mRNA-Impfstoff an. Ob der Biontech oder Moderna heißt, ist zweitrangig. Deshalb haben die Ober-Röder Mediziner jedem Patienten, der seinen Termin per E-Mail gebucht hat, ein Zitat von Prof. Dr. med. Leif Erik Sander, dem Leiter der Immunologie des Universitätsklinikums Charité in Berlin, mitgeschickt: „Die beiden Impfstoffe sind exakt baugleich und funktionieren extrem gut“, schreibt der Experte.
Wenn es einen Unterschied gebe, sei das sogar ein leichter Vorteil für Moderna. Die Impfreaktionen sind ungefähr vergleichbar. Es ist für Dr. Alexander Loytved auch kein Problem, beim Boostern zu kombinieren; es ist also egal, welches Medikament bei Erst- und Zweitimpfung gespritzt wurden. „Booster-Impfungen steigern den Schutz um den Faktor 10 bis 20“, legt Loytved seinen Patienten eine Erkenntnis von Professor Sander ans Herz.
Ihr Interesse an einer Booster-Impfung hatten die meisten Patienten bereits telefonisch, per E-Mail oder während der Sprechstunde bekundet. Außerdem betreut die Praxis zwei besonders vulnerable Patientengruppen, die gezielt auf die Notwendigkeit einer Booster-Impfung aufmerksam gemacht wurden. Dies sind zum einen Menschen, die an einer chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED) leiden. Zur zweiten Gruppe gehören Patienten mit Tumorerkrankungen. Beide sind durch Behandlung mit Immunsuppressiva (Medikamenten zur Herabsetzung der entzündlichen Reaktionen im Darm) oder Chemotherapeutika (Medikamente, die das Tumorwachstum bremsen) für das Corona-Virus (und alle anderen Infektionen) empfänglicher und müssen deswegen besonders gründlich auf einen umfassenden Impfschutz achten.
150 demnächst Dritt-Geimpfte, keine lange Warterei für die anderen Patienten, also alles in Ordnung? Leider nicht. Dr. Verena Dienstbach wies im Gespräch mit unserer Zeitung auf die überbordende Bürokratie hin, die Danijela Dujic an einem ganz simplen, aber weitreichendem Beispiel verdeutlicht: „Es dauert zwei Minuten, bisein Impfzertifikat vom Bundesserver heruntergeladen ist. In dieser Zeit liegen unsere Praxiscomputer lahm.“
Dr. Carmen Löhr sorgt sich mehr um die mittelfristige Planung. Niemand könne derzeit sagen, ob die bestellten Impfstoffe auch wirklich in der nötigen Menge ankommen. Dabei gieren die Leute geradezu nach der Booster-Spritze, um in der vierten Corona-Welle sicher vor Infektionen zu sein. Und um wenigstens halbwegs normal Weihnachten feiern zu können. (Michael Löw)