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Rödermark: Trauer und Sorgen treiben Helfer an

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Auch viele junge Menschen helfen stundenlang auf dem kalten Parkplatz, Spenden umzupacken, zu beschriften und in die Lkw zu verladen, die sich heute auf den Weg ins Katastrophengebiet machen.
Auch viele junge Menschen helfen stundenlang auf dem kalten Parkplatz, Spenden umzupacken, zu beschriften und in die Lkw zu verladen, die sich heute auf den Weg ins Katastrophengebiet machen. © Ziesecke

Beim Erdbeben in der Türkei starben auch Angehörige von Familien aus Rödermark. Die Leute halten zusammen und schicken zwei 40-Tonner voller Hilfsgüter auf die Reise.

Rödermark – Rödermark hilft nach dem Erdbeben – oft aus persönlicher Trauer und Betroffenheit: Zwei 40-Tonner- voller Hilfsgüter sind das Ergebnis der Sammelaktion von Stadt, KSV und Deutsch-türkischem Freundschaftsverein. Die Bilder aus dem Katastrophengebiet in Syrien und in der Türkei erschüttern auch die Menschen in Rödermark. Zumal viele der hier heimisch gewordenen Türken ihre Wurzeln in Hekimhan und Umgebung haben. Dort gab es viele Tote, Verletzte und Zerstörungen.

Auf dem Parkplatz zwischen Feuerwehr und Nell-Breuning-Schule herrscht den ganzen Mittwoch eine fast unwirkliche Betriebsamkeit. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht arbeiten weit mehr als 20 Helferinnen und Helfer, um die eingehenden Spenden zu sortieren, notfalls umzupacken und auf die beiden riesigen Trucks des Rhein-Main-Frachtenkontors von Michael Hauser zu verladen.

Unwirklich ist auch die Stimmung. Bei den meisten liegen tiefste Traurigkeit wegen Opfer und schwere Sorgen um Familienangehörige und Freunde, aber auch große Dankbarkeit darüber, wenigstens irgendetwas von Rödermark aus tun und schnell helfen zu können, eng beieinander. Fast jeder hier auf dem Platz hat schlimmste Nachrichten aus der Heimat bekommen. Einige wollten in die Türkei reisen, bekamen aber keine Flüge; andere machen sich im Auto auf den mehr als 3 300 Kilometer langen Weg.

Hekimhan selbst ist nach den Berichten von Verwandten fast unversehrt, doch die Dörfer drumherum sind zum Teil stark betroffen. Auf dem Sammelplatz kennt fast jeder fast jeden; jeder hört dem Anderen zu, wenn er die neuesten Informationen weitergibt. Die emsige Geschäftigkeit schafft es, die Trauer und die Sorge etwas zu überlagern. Sogar bei Hidir Karademir und seiner großen Familie, die um mehrere angehörige trauert, aber unermüdlich im Einsatz ist.

Und emsige Arbeit ist nötig. Im Laufe des Tages kommt Hilfe nicht nur aus Rödermark, sondern aus der ganzen Umgebung herein. Die gute Vernetzung zum Beispiel von KSV-Chef Mustafa Basak-Richter hat die Aktion rasch verbreitet. Neben einer Ladung von Medikamenten und Hygieneartikeln, gespendet von der Apotheke im Breidert-Center, und ganzen Kofferräumen mit Babynahrung, Feuchttüchern und Windeln kommt Maria August mit ihrem Fahrrad aus Waldacker, um Taschen voller Handtücher etwa zu bringen: „Die werden doch garantiert auch gebraucht. Und ich war auf dem Weg hierher noch schnell bei Rewe und hab Hygieneartikel eingekauft!“

Rödermärker Unternehmen – so etwa Kubat.Kom und Fair-Bau – spenden 80 Daunenjacken und mehr als 100 Decken. Eine Babenhäuser Firma steuert Berge von Schutzanzügen oder -handschuhen bei – nach Erdbeben drohen oft Seuchen. Spät abends kommt noch ein Transporter, der Medikamente und medizinische Hilfsmittel einer Frankfurter Arztpraxis liefert. Auch da finden sich genügend Helfer, um in einer Menschenkette die Güter umzuladen in den fast vollen zweiten Lkw.

Immer wieder packen die Leute an, froh etwas tun zu können an einer Stelle, wo sie sonst nur mit bangen Blicken auf ihr Handy schauen und warten können. Auch Bürgermeister Jörg Rotter, Landrat Oliver Quilling und Erste Stadträtin Andrea Schülner kommen vorbei und haben offene Ohren für die vielen Erzählungen der Betroffenen und der Helfer.

Gegen 21 Uhr werden die Lkw geschlossen und auf einen Parkplatz im Industriegebiet gefahren. Bis gestern sollten alle Formalitäten abgewickelt werden, heute geht es los: „Jeder Lkw ist mit zwei Fahrern besetzt; wir werden mindestens drei Tage brauchen, bis wir im Zielgebiet sind“, berichtet Kontor-Chef Michael Hauser, der schon die Rödermärker Ukraine-Hilfe gut abgeliefert hat.

Seine Ziele sind die Orte Adiyaman, Kahramanmaras, Hatay und Malatya. In dieser Gegend haben viele der Helfer Familie. Aylin Kubat, eine Studentin, hat nicht nur den ganzen Tag geschleppt, sondern auch 90 Pakete Hundefutter und 80 Kilogramm Katzenfutter beisteuert: „Wir hätten die Tiere fast vergessen“. Drum freut sie sich besonders, als sie abends noch Tierfutter in einem der zahllosen Kartons findet.

Unnötig sind diesmal Kleidung und Schuhe. Was manche Bürger dennoch nicht abschreckte, ihre „Restbestände“ loszuwerden. „Die Ausrutscher schlechthin waren ein Bikini, mehrere Abendkleider und ein Hochzeitskleid“, erzählt Aylin Kubat zwischen Lachen und verständnislosem Kopfschütteln. „Und natürlich die Dame mit den Lackstiefeln, die wissen wollte, wo sie sie ablegen solle, ich hab sie nach Frankfurt ins Bahnhofsviertel geschickt“, konnte sich die junge Helferin trotz aller Sorgen und Traurigkeit eine ironische Bemerkung doch nicht verkneifen.

Hilfe weiter nötig: Spenden sind nach wie vor willkommen: Die Organisatoren der Erdbebenhilfe bitten um einen Beitrag auf folgendes Konto: DE87 5085 2651 0045 9035 98. Verwendungszweck: Erdbebenopfer Türkei. (Christine Ziesecke)

Sogar spätabends bringt ein Transporter Medikamente und Hilfsmittel einer Frankfurter Arztpraxis.
Sogar spätabends bringt ein Transporter Medikamente und Hilfsmittel einer Frankfurter Arztpraxis. © Ziesecke
Bilder aus der zerstörten Heimat: Fast jeder Helfer hat sie auf dem Smartphone.
Bilder aus der zerstörten Heimat: Fast jeder Helfer hat sie auf dem Smartphone. © privat

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