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Rödermark: Welterfahrener Taktgeber

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So gemütlich hat's Andreas Zöller selten. Manchmal kommt er direkt vom Flughafen und dirigiert das „Endlisch Musigg“-Orchester bei Proben oder Auftritten.
Rödermark: So gemütlich hat“s Andreas Zöller selten. Manchmal kommt er direkt vom Flughafen und dirigiert das „Endlisch Musigg“-Orchester bei Proben oder Auftritten. © Privat

Schwarzer Smoking, schwarze Fliege, strahlende Augen, charmant, smart – so kennen Konzertgänger in Rödermark Andreas Zöller. Er Musiker bei der Viktoria 08 Ober-Roden und Dirigent des „Endlisch Musigg“-Orchesters. Dass dieser jugendliche 40er zahllose andere Seiten hat, ist nicht allen bekannt; die Offenbach-Post eröffnet mit ihm ihre neue Serie „Die Macher der Musik“.

Rödermark - Mitten in den Ort hineingeboren wurde Andreas Zöller 1981. Genauer gesagt in die Familie der Ur-Ober-Röderin Mechthilde (geborene Beckmann) und des Seligenstädter Alfons Zöller. „Mit diesem Elternhaus ist man automatisch in die Kirche hineingeboren, als Messdiener und Lektor; man spielt Handball und ist bei der Feuerwehr“, schildert Andreas Zöller Kindheit und Jugend. Vater, Großvater und zeitweise auch der Urgroßvater waren schon bei der Wehr. Von dem allen hat er sich schrittweise abgenabelt. Dem Handballspielen blieb ihm am längsten erhalten, das verband ihn mit seinem Vater („Da kann er reden wie ein Wasserfall!“).

Zur Musik kam er erst spät erst mit etwa zehn Jahren. Der Lehrer Reinhold Franz kam eigentlich zu Schwester Kerstin und fragte den Bruder: „Und was spielst du?“ „Na ja, Horn oder Posaune vielleicht...“ Drei Tage später hatte er seinen ersten Termin bei Posaunenlehrer Volker Laumann in Urberach. Mit einer 80 Jahre alten Posaune fing alles an; jetzt zum 40. Geburtstag hat Andreas Zöller eine neue bekommen.

„Die ersten zwei Jahre waren sehr hart für mich. Ich hatte keine Freude, außer dass ich freitags in die Probe durfte.“ Franz Keller, der nächste Lehrer, erkannte seine Fähigkeiten. „Er sagte nicht: ‚Guck dir das mal an’ zu mir, sondern ‚du kommst vorbereitet!’ Er hat mich innerhalb von zwei, drei Jahren dazu gebracht, dass ich jeden Tag spielte! Üben, Fleiß - plötzlich hatte ich mehr Spaß.“ Heute weiß er: „Gleich das richtige Instrument, das spart vier Jahre Lebenszeit! Und gleich die richtige Ausbildung - erst gar nichts Falsches angewöhnen.“

Andreas Zöller kam zum Posaunisten und Dirigenten Dietmar Schrod. Der Einzelunterricht hat ihm erst gezeigt, dass er noch lange nicht gut ist. Schrod ging mit ihm ins Theater, zur theoretischen Weiterbildung. „Plötzlich hatte ich zwei Abonnements in der Oper und im Schauspiel Frankfurt. Zuhause habe ich plötzlich auch intuitiv mit Anfang 20 Partituren gelesen.“

Reicht es ihm, einfach nur zu musizieren? Sollte er vielleicht doch dirigieren? Bei einem Treffen auf den Plätzen der Stadt Trondheim in Norwegen erkannte Andreas Zöller: „Musik ist unfassbar wichtig für mich, aber alle sind besser als ich!“ Sein Luxus-Problem: An der Nell-Breuning-Schule war er auch in den Leistungskursen Mathe und Physik sehr gut, und so kam er zur Erkenntnis: Musik ist wichtig, aber bringt kein Geld!

Also studierte er Mathe und Physik in Darmstadt. Bei vielen Nachhilfestunden, mit denen er sich finanzierte, erkannt er stets rasch, wo die Probleme bei den Menschen lagen. Er unterrichtete als U-plus-Kraft fürs „Wurzelwerk“, und auch vielerorts zur Probe, nahm Psychologie und Pädagogik mit ins Studium auf. „Das ist gut, aber nicht 40 Jahre lang! Und ich möchte keine Fächer übernehmen, sondern Themen!“

Über den Vater einer Freundin kam er zur Firma Dupont in Neu-Isenburg. Seine Arbeit wurde vielfältig. Acht Jahre war er in Genf, zuletzt Produktmanager, der zu seinem Abschied kurz vor Weihnachten als Lob mit auf den Weg bekam: „Wenn wir 10 000 Andreas Zöllers hätten, wäre Deutschland klimaneutral!“

Zuhause in Ober-Roden hatte er 2006 das „Endlisch Musigg“-Orchester für Neu- und Quereinsteiger gegründet, natürlich beim MVV 08, wo er seit seiner Jugend dabei war. Das war superanstrengend parallel zu Studienabschluss und Jobanfang, zumal er während der Arbeit noch den Dirigentenschein gemacht hat. 36 Erwachsene hat er jetzt vor sich, unter denen sitzt auch seine Mutter. Zöllers Grundidee: „Erwachsenen, deren Kinder ich vorher schon im Jugendorchester hatte, Möglichkeiten zur Musik geben.“ Dank großer Kreativität und enormem musikalischem Hintergrund wurde das Orchester eine (oder auch seine) große Erfolgsgeschichte.

Seine Basis: unfassbar starkes Interesse an Musik und unfassbar viel Spaß. Und gerade den gibt er weiter. Aus der Wirtschaft weiß er, wie wichtig das Branding, das Markenmanagement, ist. Den Namen „Endlisch Musigg“ hat er mal in der Oper erfunden; Farbe schwarz, Logo handgezeichnet – Weiß auf Schwarz. Und das schlug ein; spätestens als im dritten Jahr die erste „Konzertparty“ stieg.

Blitzschnell ist alles immer professioneller geworden. „Was wollen wir sein? Mehr als Musik“, versteht sich das Orchester. Nicht besser, sondern mehr wurde zum Kompass, Wertschätzung wurde zur Maxime. Plötzlich haben sich de Mitglieder mit ihren Stärken außerhalb der Musik eingebracht; mit Grafik, mit Computertechnik, mit vielem anderen. „Alles zusammen ein großes Mosaik“, bleibt Zöller in einer reich bebilderten Sprache.

Er macht im Orchester weiter, auch wenn er seit drei Jahren nur selten spielt, „nur noch mit tollen Musikern für einen guten Zweck“ wie etwa in der Osternacht in Obertshausen dank seiner Freundschaft mit dem Pfarrer. Er macht Online-Fortbildungen für Dirigenten, doch sein C-Dirigentenschein reicht ihm, jetzt sind erst mal Lebensschwerpunkte angesagt.

Zöller spielt unter anderem in der Rodgau Jazz Bigband und in einer Darmstädter Bigband, aber immer nur projektbezogen. „Hier im Verein springe ich nur noch ein, wenn ich gebraucht werde. Ich habe einfach keine Zeit mehr für Regelmäßiges. Jahrelang landete er direkt aus Genf noch mit Koffer in den Proben: „Das war ein wichtiger Termin, damit die Musigger sehen: Da muss ich auch pünktlich sein und in die Probe kommen! So war immer drei Viertel des Orchesters dabei!“ Und so steht auch das nächste Märchenkonzert schon: „Die Musik ‚kaufen’ wir uns, die Texte schreibt Anneke Hammer mit Lokalkolorit selbst. Wir haben immer drei bis vier Themen zur Auswahl und fragen uns dann: Was passt am besten in die Weltgeschichte?“

Beruflich geht’s für Andreas Zöller beim Kunststoffhersteller Borealis weiter. Das ist ein österreichischer Konzern, bei dem das Thema Nachhaltigkeit an erster Stelle steht. „Ich möchte meine Lebensenergie dort investieren. Ich möchte Zahlen evaluieren und Aufklärung betreiben. Ich glaube, ich kann das auch weiter vermitteln“, umreißt Zöller seine Perspektiven.

Weiter gehen werden seine geliebten Reisen. Sowohl die Kulturreisen mit dem Verein nach Saalfelden, Straßburg oder auch mal New York, als auch die beruflichen. Und Andreas Zöller will weiterhin lieber zum Schanghai-Orchestra gehen als zum abendlichen Firmendinner. Und er weiß: „Es ist ein großer Luxus, wie viel Kultur ich auf diese Weise erfahren durfte und darf.“

Eine Frage wird nach Corona sein: „Haben wir noch genügend Energie, um das wieder aufzubauen, was jetzt weg war? Musigger haben es nicht leicht; aber auch wir Dirigenten nicht. Jeder darf mal nicht in die Probe kommen, aber der Dirigent muss immer da sein.“ Doch sein Optimismus ist auch hier unfassbar groß. (Christine Ziesecke)

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