1. Startseite
  2. Region
  3. Seligenstadt

Gedenken zum 80. Jahrestag der Deportation der letzten Juden im Ostkreis

Erstellt:

Von: Julia Oppenländer

Kommentare

Koffer mit Symbolik: Die Seligenstädter Jüdin Sara Schloss wurde ebenfalls im September 1942 deportiert – und ließ dabei ihren Koffer zurück (Infokasten).
Koffer mit Symbolik: Die Seligenstädter Jüdin Sara Schloss wurde ebenfalls im September 1942 deportiert – und ließ dabei ihren Koffer zurück. © Hampe (Archiv)

Am 17. September vor 80 Jahren wurden die letzten verbliebenen Juden in Seligenstadt und Hainstadt - mit einer Ausnahme - deportiert. Ihnen wird in diesen Tagen gedacht.

Ostkreis – Der 17. September 1942 war ein dunkler Tag in der Geschichte des Ostkreises: Sowohl in Seligenstadt als auch in der Nachbargemeinde Hainstadt mussten sich an diesem Tag die letzten noch verbliebenen Juden – mit Ausnahme von Irene Thoma in Seligenstadt, die 1943 deportiert wurde – an vorbestimmten Sammelplätzen einfinden. Von dort wurden sie auf Lastwagen zunächst nach Darmstadt, dann unter unmenschlichen Bedingungen in Viehwaggons in die Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten des damaligen Reiches geschafft. Fast alle wurden ermordet oder kamen auf der Fahrt und durch die katastrophalen Verhältnisse in den Lagern zu Tode. Beide Kommunen erinnern nun zum 80. Jahrestag der Deportation an die schrecklichen Ereignisse.

Veranlasst durch das verbrecherische Regime der Nationalsozialisten, das die Vernichtung der Juden beschlossen hatte, wurde unter dem Stichwort „Endlösung der Judenfrage“ deutschland- und europaweit der durchorganisierte massenhafte Mord an den Juden geplant. Viele staatliche Einrichtungen und Dienststellen bis zu den örtlichen Verwaltungen und Polizeistellen, aber auch Produktionsstätten und Industriezweige wurden eingebunden, um den Völkermord technisch planvoll umzusetzen.

Seligenstadt: Deportierung nur wenige Tage vorab angekündigt

Ihre bevorstehende „Evakuierung“ wurde den Juden in Seligenstadt wenige Tage zuvor angekündigt, zusammen mit einem Schreiben, das ihnen vorschrieb, was sie mitzunehmen hätten. Zugleich wurde die Mär verbreitet, dass sie an ihrem Ziel Wohnung und Arbeit sowie Versorgung im Alter finden würden.

In Hainstadt wohnte 1942 nur noch das jüdische Ehepaar Moses und Hanna Rollmann in der Bahnhofstraße 18. Auch sie mussten am 17. September vor dem Rathaus auf einen Laster steigen, der schon mit den letzten Juden Klein-Auheims besetzt war. Gemeinsam wurden sie nach Darmstadt in die Liebigschule abtransportiert. Als Gepäck durften sie je einen Koffer oder Rucksack mit folgenden Ausrüstungsstücken mitnehmen: Vollständige Bekleidung (ordentliches Schuhwerk), Bettzeug mit Decke, Essgeschirr (Teller und Topf) mit Löffel und Mundvorrat für drei Tage.

„Frau Rollmann stand vor dem Spiegel und raufte sich in Verzweiflung die Haare“, berichtete eine Nachbarin von dem Tag im September 1942, an dem die letzten Juden im Ostkreis Offenbach abgeholt wurden.

Jüdisches Ehepaar aus Hainstadt vor dem Rathaus abgeholt

Als die beiden Rollmanns vor dem Rathaus auf den schon voll besetzten Lastwagen steigen mussten, zeigten sich Anteilnahme und Hass. Während eine Person einen Stuhl herbeischleppte, versuchte ein anderer noch einen Arschtritt. Das mittellose Ehepaar hatte zuvor vom Handel mit Tüchern und Stoffen sowie durch Hausieren gelebt. Ihr Sohn Martin, der als Chemiker keine Anstellung mehr fand, war über Shanghai nach Palästina (heute Israel) geflüchtet und verstarb 1993 in Tel Yosef. Tochter Sophie war bereits 1933 als Haushaltshilfe in die Schweiz ausgewandert, wo sie 1985 in Zürich verstarb.

Am 27. September wurden die Rollmanns von Darmstadt in das Ghetto Theresienstadt verfrachtet, wo sie am 14. Januar 1943 und 8. März 1943 wegen Essensmangel und den miserablen Zuständen verstarben – wie weitere 33  430 andere Menschen, die nicht von dort in Vernichtungslager verlegt wurden. Bürgermeister Carl Hofmann konnte Hainstadt „judenfrei“ melden und versuchte das Haus der Rollmanns einer anderen Nutzung zuzuführen.

Die Geschichte hinter dem Koffer des Artikelbilds

Der schwarze Koffer ist unscheinbar: Kunstleder von außen, innen verstärkte Pappe. Außen auf dem Koffer steht leserlich die Aufschrift: Sara Schloss, Kennwort: Landkreis Offenbach, Kennnummer A00991. Die Geschichte hinter diesem Gepäckstück ist allerdings eine traurige, denn es ist alt – aus dem Jahre 1942. Sara Schloss hatte ihren Koffer vor 80 Jahren einer Seligenstädter Familie zur Aufbewahrung übergeben mit den überlieferten Worten: „Wenn ich wiederkomme, hole ich ihn ab. Da ist die gute Wäsche drin.“ Doch Sara Schloss kam nie wieder.

Die Jüdin aus Seligenstadt wurde ebenfalls im September 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und dort von den Nazis ermordet. Ihr Koffer landete auf einem Seligenstädter Speicher, wurde dort vergessen und erst viele Jahre später wiederentdeckt. (jo)

Seligenstädter Bürgerinitiative Synagogenplatz ruft zum Gedenken auf

80 Jahre sind diese Ereignisse vom 17. September 1942 nun her. Die Seligenstädter Bürgerinitiative Synagogenplatz ruft mit Unterstützung der Stadt deshalb zum Gedenken an diese Ereignisse sowie an die menschenverachtende Behandlung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger auf. Aus organisatorischen Gründen findet die Gedenkveranstaltung allerdings erst eine Woche später, nämlich am 24. September statt.

Da ein kleiner Koffer alles war, was die Betroffenen mitnehmen durften, sollen Koffer auch das Symbol für die entrechteten Juden sein. Deshalb möchten die Mitglieder der Bürgerinitiative mit Unterstützung aus der Bevölkerung 44 alte Koffer von den sogenannten „Judenhäusern“, in denen die Juden in den letzten Jahren vor ihrem Abtransport zwangsweise zusammengepfercht leben mussten, in einem Schweigemarsch zum Marktplatz tragen. Die Koffer tragen den Namen der jeweiligen Personen.

Die anschließende Gedenkveranstaltung auf dem Marktplatz beginnt um 15 Uhr. Treffpunkt an den ehemaligen „Judenhäusern“ (Schafgasse 4, Steinheimer Straße 16, Kleine Maingasse 4 und Am Riegelsbach 1) ist um 14.30 Uhr.

Wer einen alten Koffer besitzt und diesen zur Verfügung stellen kann, wer sich bereit erklären würde, einen Koffer zu tragen oder sich anderweitig einbringen möchte, meldet sich bitte unter der Telefonnummer 22793.

Auch interessant

Kommentare